«Helvetia ruft!»: Die Frauen können den drohenden Rückschlag wohl abwenden – auch dank einer bürgerlichen Partei
Die erste Frau, die am Sonntag für aufsehen sorgte, war Regina Durrer-Knobel. Die Nationalratskandidatin der Mitte eroberte in Nidwalden den Sitz von SVP-Nationalrat Peter Keller, der zurücktritt. Die überparteiliche Kampagne «Helvetia ruft!», die sich für mehr Frauen in der Politik engagiert, kommentierte die Wahl als historisch: «Zum ersten mal schickt Nidwalden eine Frau ins Bundesparlament», sagt Flavia Kleiner, eine der Initiantinnen von «Helvetia ruft!»
Die Wahl der ersten Nidwaldner Nationalrätin ist aus Sicht von «Helvetia ruft!» ein gutes Signal – denn die Vorzeichen auf die Wahlen waren aus Frauensicht eher ungünstig. Mit den prognostizierten Verlusten der Grünen wackelten viele Sitze von Nationalrätinnen, die in der Grünen-Fraktion bisher fast zwei Drittel der Sitze innehatten. Auch bei den Grünliberalen waren die Mandate mehrerer Frauen in Gefahr.
Tatsächlich stand dann schon früh die Abwahl von je einer grünen Nationalrätin in den Kantonen Genf und Waadt fest. In Freiburg traf es zudem die Sozialdemokratin Ursula Schneider Schüttel, die Präsidentin der Finanzdelegation, die im Fall der Credit Suisse eine wichtige Rolle spielte. In den grossen Kantonen Zürich und Bern liessen die Resultate länger auf sich warten. In Zürich befanden sich mit Meret Schneider und Katharina Prelicz-Huber zwei Frauen der Grünen am Abend in Bedrängnis. Auch in Bern, wo den Grünen gemäss Hochrechnungen zwei Sitzverluste drohten, war die Wiederwahl von Frauen fraglich. Sicher abgewählt wurde im Aargau die Präsidentin der EVP Schweiz, Liliane Studer.
Aus Sicht der Gleichstellungspolitikerinnen drohte also ein Backlash, umso mehr als auf Ende der Legislatur rund ein Dutzend Frauen zurücktraten. Zur Erinnerung: Bei den Wahlen 2019 zählten die Frauen zu den grossen Siegerinnen. Plus 20 Sitze eroberten sie im Nationalrat, insgesamt 83 Mandate. Der Frauenanteil stieg um 10 Prozentpunkte auf 42 Prozent. In den Ständerat zogen 13 Frauen ein, auch das ein Rekordwert.
«Doch im Laufe der Legislatur haben die Frauen drei Sitze verloren», sagt Flavia Kleiner. Sie traten zurück, wie Ruth Humbel, oder wechselten in die Kantonsregierung, wie die Tessinerin Marina Carobbio. Gegen den Rückgang des Frauenanteils bei den eidgenössischen Wahlen 2023 hat «Helvetia ruft!» seit einem Jahr mobilisiert.
Mit den Parteipräsidenten schlossen Kleiner und ihre Ko-Initiantin, GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy, im Wahlkampf Wetten ab. SP und Grüne, wo die Frauen die Mehrheit haben, wollten die Parität sicher halten. Neu versprach auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister «50:50 auf den besten Listenplätzen und total mehr Frauen auf den Listen als 2019». Für die FDP stellte Thierry Burkart die Erhöhung des Frauenanteils in der FDP-Fraktion im Bundeshaus auf 40 Prozent in Aussicht. SVP-Präsident Marco Chiesa wollte «mehr Kandidatinnen als 2019». Ergebnis: Es kandidierten so viele Frauen wie noch nie zuvor und dies oft auf guten Listenplätzen.
Basel Stadt schickt ausschliesslich Frauen nach Bern
Und so konnte Bertschy am Sonntagnachmittag in der Zentrale von «Helvetia ruft!» feststellen: «Es kommt wohl weniger schlimm heraus als befürchtet.» Gemäss einem ersten Zwischenstand schafften sieben Frauen neu die Wahl ins Bundeshaus, manche von ihnen eroberten bisherige Männer-Sitze. Dies, bevor die Ergebnisse aus Bern und Zürich vorlagen, wo Nicole Barandun und Yvonne Bürgin (beide Mitte) am Abend gut im Rennen lagen. Auch die FDP-Frauen verbuchten mit Kristiane Vietze im Thurgau und Nadine Gobet in Freiburg Erfolge.
Dass bei links-grün die Frauen weiterhin stark vertreten sind, überrascht nicht. Flavia Kleiner lobt vor allem aber die Mitte-Partei: Diese habe mit der prominenten Positionierung und der hohen Zahl Kandidatinnen wesentlich dazu beigetragen, dass die Frauen nicht zu den Verliererinnen zählen, an diesem Wahlsonntag.
Wie um das zu bestätigen, meldete Basel-Stadt Abends kurz vor 21 Uhr: Der Kanton schickt künftig vier Frauen nach Bern in den Nationalrat, dazu Eva Herzog als Ständerätin – eine rein weibliche Deputation.