Kind von Saisonnier-Eltern, gelernter Koch, erster Grünliberaler im Bundesratszimmer: Das ist der neue Bundeskanzler
Im Gegensatz zu seinem Namensvetter in Deutschland fliegt der Bundeskanzler in der Schweiz unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit. Das Amt und dessen Inhaber ist in der Bevölkerung wenig bekannt.
Dabei spielt der Bundeskanzler – in der Vergangenheit auch schon als «achter Bundesrat» bezeichnet – eine gewichtige Rolle: Er plant mit dem Bundespräsidenten die Bundesratssitzungen, gibt das Abstimmungsbüchlein heraus und er gilt als Hüter der Institutionen. In der Bundesratssitzung darf er Anträge formulieren, Mitberichte verfassen – nur abstimmen darf er nicht.
Am Mittwoch hat die Vereinigte Bundesversammlung den 55-jährigen Viktor Rossi aus dem Kanton Bern zum neuen Bundeskanzler gewählt. Er folgt auf Walter Thurnherr (Mitte), der sein Amt nach acht Jahren niederlegt.
Die Konkurrenz war stark. Gleich vier Kandidierende bewarben sich für die Nachfolge von Walter Thurnherr. Die SVP unterstrich ihren Anspruch gleich mit zwei Kandidaten: Gabriel Lüchinger und Nathalie Goumaz. Die SVP hat noch nie einen Bundeskanzler gestellt. Nebst Rossi kandidierte auch Lukas Gresch, Generalsekretär im Innendepartement von Alain Berset. Gresch ist parteilos und wurde von keiner Fraktion offiziell unterstützt.
Bereits im ersten Wahlgang machte Rossi das beste Resultat, gefolgt von Lüchinger. Die SVP zog in der Folge ihre zweite Kandidatin zurück. Alles lief auf das Duell Lüchinger gegen Rossi hinaus. Die Linken wollten unbedingt die Wahl von SVP-Kandidat Lüchinger verhindern. Ihre Stimmen gingen von Gresch zu Rossi.
Mitte-links setzte sich gegen die SVP durch. Die Wahl war eine deutliche Absage an die SVP. Ihr traut man als Polpartei dieses Amt offensichtlich nicht zu. Die Angst vor einer Verpolitisierung war da. Denn Gabriel Lüchinger war einst Generalsekretär der SVP Schweiz.
«Ich kann besser kochen als Thurnherr»
Mit Rossi übernimmt erstmals ein Mitglied der GLP das Bundeskanzleramt. Seit 2010 ist er in leitender Funktion für die Bundeskanzlei tätig, vor vier Jahren wurde er zu einem von zwei Vizekanzlern ernannt und nimmt als solcher an den Sitzungen der Landesregierung teil.
Rossis Herkunft und sein Ausbildungs- und Berufsweg unterscheiden sich deutlich von denjenigen seines Vorgängers. Der abtretende Bundeskanzler Walter Thurnherr trat kurz nach dem Studium der Theoretischen Physik an der ETH Zürich in den Diplomatischen Dienst ein und verbrachte sein gesamtes Berufsleben in der Bundesverwaltung. Sein Nachfolger Viktor Rossi hingegen hat eine «typisch schweizerische Laufbahn» absolviert, wie es GLP-Fraktionschefin Corina Gredig bei der Präsentation seiner Kandidatur vor der Bundesversammlung ausdrückte.
Der neue Bundeskanzler absolvierte eine Kochlehre, erlangte auf dem zweiten Bildungsweg die Matura und studierte an der Universität Bern Wirtschaft und Recht. Er wurde Lehrer und später Direktor der Kaufmännischen Berufsfachschule in Biel mit rund 180 Mitarbeitenden.
Rossis Eltern kamen als Saisonniers in den 1950er-Jahren aus Süditalien beziehungsweise Südkärnten in Österreich in die Schweiz. «Sie taten dies in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft – für sich und ihre Familie», sagte Rossi gleich zu Beginn seiner Wahlrede vor dem Parlament. Dieses damals für seine Eltern noch fremde Land sei «rasch zu unserem Land, zu unserer Schweiz» geworden, so Rossi. An einer Medienkonferenz am Mittwochnachmittag sagte Rossi auf die Unterschiede zu Thurnherr angesprochen: «Ich kann bestätigen, dass er besser rechnen kann als ich und ich besser kochen kann als er.»
Als Prioritäten für sein neues Amt nannte er das Vorantreiben der Digitalisierung und die Stärkung der Krisenfestigkeit der Bundesverwaltung.