Seilziehen um UNRWA-Gelder: Angriff gescheitert – doch ein doppelter Streit um die Entwicklungshilfe bahnt sich an
Ausgerechnet ein vergleichsweise kleiner Posten in der Budgetdebatte katapultiert die Schweiz international in die Schlagzeilen: Es geht um 20 Millionen Franken für das Palästinenserhilfswerk UNRWA, welche die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat streichen wollte. Ein politisches Zeichen sollte es sein – so die Absicht.
Noch am Mittwochmorgen fand der Vorschlag im Nationalrat erneut eine Mehrheit. UNRWA-Mitarbeitende hätten Terror gegen Israel verherrlicht, sagen die Befürworter unter anderem. Der Ständerat lehnte die Kürzung jedoch ebenso wie der Bundesrat ab. Deshalb musste ein Kompromiss her. Über diesen wird zwar erst am Donnerstag abgestimmt, doch klar ist bereits: Der Versuch, die UNRWA direkt ins Visier zu nehmen, ist gescheitert.
Der Kompromiss sieht vor, dass das Budget für humanitäre Aktionen um 10 Millionen Franken auf 419 Millionen gekürzt wird. Das Parlament lässt es dabei offen, wo genau gespart werden soll. Zudem sollen alle Gelder für den Nahen Osten an strikte Bedingungen geknüpft werden, um sicherzustellen, dass sie der Zivilbevölkerung zugutekommen.
Ein Image-Schaden für die Schweiz?
Im Nationalrat hatte die Mitte zusammen mit FDP und SVP die Streichung des UNRWA-Beitrags unterstützt. Die humanitäre Hilfe sei wichtig, betont Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. «Es ging um ein politisches Zeichen Richtung UNRWA. Die Mitte will nicht, dass mit Schweizer Geld Hamas-Propaganda unterstützt wird.» Dass die Auszahlung von Geldern in den Nahen Osten nun an strikte Bedingungen geknüpft werden soll, finde sie daher gut.
Andreas Missbach ist Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik. «Die Diskussion über die UNRWA wurde völlig faktenfrei geführt», sagt er. Die Vorwürfe gegen die Organisation seien längst widerlegt. Die UNRWA sei die mit Abstand wichtigste Organisation für humanitäre Hilfe in Gaza.
Auch SP-Nationalrat Fabian Molina hat die Diskussion geärgert. «Die fragwürdige Debatte hat der Schweiz aussenpolitisch bereits jetzt einen erheblichen Schaden zugefügt.» Niemand habe verstanden, warum die Schweiz in «einer der grössten humanitären Krisen unserer Zeit» bei der Hilfe für die Zivilbevölkerung kürzen wolle.
Dass die Debatte im Ausland registriert wurde, zeigte sich bei einem Hintergrundgespräch mit Alexandre Fasel, dem neuem Staatssekretär im Aussendepartement EDA. Es fand fast zeitgleich zur Debatte um die UNRWA-Unterstützung statt. Gleich zwei Medienschaffende aus dem arabischen Raum wollten wissen, weshalb die Schweiz der UNRWA die Unterstützung kürzen wolle. Fasel blieb diplomatisch – und vage. Der Bundesrat habe wie in den Vorjahren einen Beitrag von 20 Millionen Franken für die UNRWA beantragt, betonte er.
Düstere Finanzlage erhöht den Druck
Ist der Entscheid vom Mittwoch ein Anzeichen, dass das Parlament bei der humanitären Hilfe den Gürtel enger schnallen will? Nein, heisst es aus verschiedenen Parteien. Das Parlament hat denn auch einen Nachtragskredit von rund 90 Millionen Franken für humanitäre Hilfe im Nahen Osten bewilligt. Dabei sind keine Beiträge an die UNRWA vorgesehen, wie das EDA schreibt.
Allerdings könnte die Internationale Zusammenarbeit in den kommenden Jahren doppelt unter Druck kommen: erstens wegen der Finanzlage des Bundes, zweitens wegen der Hilfe für die Ukraine. Strittig ist, inwieweit diese über das Budget der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) finanziert werden soll – also zulasten anderer Hilfe. Im Interview mit dieser Zeitung im Februar sprach sich Aussenminister Ignazio Cassis dagegen aus.
Nun will der Bundesrat jedoch 2025–2028 gemäss IZA-Botschaft 1,5 Milliarden Franken aus dem Topf nehmen. Wie die Tamedia-Zeitungen berichteten, plant Cassis insgesamt ein 6-Milliarden-Paket über zehn Jahre, wovon 4 Milliarden über das IZA-Budget finanziert werden sollen. Staatssekretär Fasel sagte am Mittwoch: «Klar ist, dass ein Teil davon aus dem IZA-Budget stammen wird.» Ob es dem Ansehen der Schweiz schade, wenn ihr Beitrag für die Ukraine auf Kosten anderer Krisengebiete geht, wollte er nicht bewerten.
Das Armeebudget soll wachsen, aber nicht so schnell wie vom Ständerat gewünscht: Es soll bis 2035 auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen – und nicht bereits bis 2030. Der Nationalrat hat sich in der Einigungskonferenz durchgesetzt. (mjb)