Über 50 und immer noch Punks: Green Day sprechen über ihr neues Album und Alkohol-Probleme
Die neuen Songs wie «The American Dream Is Killing Me» klingen gleichermassen rotzig wie nachdenklich, lebenserfahren und gesellschaftlich auf der Höhe der Zeit. Da ein persönliches Treffen mit der Band in London kurzfristig ausfiel, da alle drei Corona bekommen hatten, unterhielten wir uns mit Billie Joe Armstrong, Mike Dirnt und Tré Cool virtuell in Los Angeles.
Sind Sie nach Corona wieder fit?
Billie Joe Armstrong: Ja, zum Glück sind wir alle wieder gesund. Höchstens noch ein bisschen angeschlagen von letzter Nacht, da wir bis in die Nacht unser Video zum Song «Dilemma» gedreht haben. Aber was muss, das muss.
In besagtem Video liegen Sie betrunken auf dem Boden und singen: «Willkommen zu meinen Problemen, dies ist keine Einladung.»
Armstrong: Der Song hat einen ernsten Kern. Er behandelt das schwierige Thema des Nüchternwerdens, Nüchternseins und Nüchternbleibens, das für viele von uns, mich selbst eingeschlossen, eine beständige Herausforderung darstellt.
Sie mussten sich 2012 wegen Alkoholismus und Medikamentenmissbrauch behandeln lassen. Haben Sie die Süchte seither im Griff?
Armstrong: Ja. Mit ein paar Aufs und Abs, doch die grundsätzliche Richtung stimmt. «Dilemma» ist tatsächlich ein sehr persönliches Lied. Zugleich jedoch weitet es den Blick. So viele Menschen haben mit Abhängigkeiten, aber auch mit Problemen psychischer und emotionaler Art, zu kämpfen. Dieser Kampf ist für uns wie auch für unsere Liebsten oft sehr schmerzhaft, aber wir können ihm nicht aus dem Weg gehen.
Umso schöner, zeigt das neue Album die besten Seiten von Green Day. Wen wollen Sie mit dem Song «Saviors» retten?
Tré Cool: Den Rock ’n’ Roll, uns selbst, am besten gleich die ganze Welt. (Lacht.) Als wir den Titelsong «Saviors» schrieben, wütete noch die Pandemie, alle waren verzweifelt und suchten gleichzeitig nach etwas, woran sie sich aufrichten konnten.
Mike Dirnt: Uns ging es nicht anders, und wir hatten und haben zum Glück die Musik. In einer Welt der Ungewissheit und mitten auf einem Meer des Wahnsinns, das tiefer denn je zu sein scheint, müssen wir uns kleine, sichere Rettungsinseln suchen. Ansonsten werden wir verrückt.
Sie geben sich untereinander Halt?
Armstrong: Absolut. Die Band ist tatsächlich in all den Jahren immer so etwas wie unser Rettungsboot gewesen. Wir drei sind wie eine Familie.
Der Song «The American Dream Is Killing Me» zeichnet ein sehr desillusioniertes Bild einer zerrissenen, unfairen Gesellschaft. Im dazugehörigen Video treten Sie als Zombies auf. Kann man die Welt da draussen nur noch mit Humor nehmen?
Armstrong: Horrorfilme waren immer schon super darin, die Wirklichkeit bildhaft auf die Spitze zu treiben. Gerade bei uns in den USA grassieren Angst, Hass und Unversöhnlichkeit.
Es gibt keinen wirklichen Mittelweg mehr oder wenn, dann scheint niemand daran interessiert zu sein, ihn zu gehen. Wut und Waffen sind allgegenwärtig. Wir leben in einem gefährlichen Land, das kaum noch wirkliche Diskussionen und Auseinandersetzungen zulässt, befeuert natürlich von den sozialen Medien.
Ist der Song auch eine Warnung vor einer weiteren Amtszeit Donald Trumps?
Armstrong: Indirekt ganz sicher. Wir hatten «The American Dream Is Killing Me» ursprünglich schon für unser vorheriges Album geschrieben. Damals war Trump an der Macht, und wir wollten ihn nicht rausbringen, weil uns ein weiterer Anti-Trump-Song wie eine zu niedrig hängende Frucht erschien. Also einfach zu offensichtlich. Man würde es sich auch zu leicht machen, nur auf Donald Trump einzudreschen und die viel tiefer gehenden Missstände in unserem Land ausser Acht zu lassen. Trotzdem ist Trump natürlich eine echte Bedrohung. Populismus kennt keine brauchbaren Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit.
Kommt womöglich noch ein Überraschungskandidat oder eine Überraschungskandidatin?
Armstrong: Auch wenn es noch zu früh ist, so jemanden auszuschliessen, glaube ich nicht richtig daran. Wahrscheinlich stehen wir Ende des Jahres vor der Entscheidung zwischen zwei alten Männern.
2024 wird indes nicht nur ein wichtiges Jahr für die Weltpolitik, sondern auch ein grosses Jahr für euch. Dreissig Jahre ist Billie Joe Armstrong verheiratet und 1994 kam das Durchbruchsalbum «Dookie» heraus.
Armstrong: 1994 war verdammt intensiv und auch impulsiv. Wahnsinn, wenn ich heute daran denke. Ich war mit 22 schon verheiratet mit meiner Frau Adrienne und wurde mit 23 Vater. Und plötzlich spielten wir nicht mehr vor unserer kleinen, treuen Gefolgschaft, sondern vor einem richtig grossen Publikum, das längst nicht mehr nur aus typischen Punk-Fans bestand. Wir mussten ganz schnell wachsen und uns an alles gewöhnen. Wir waren jung, wir waren verrückt. Plötzlich hatten wir diesen Erfolg und waren uns schnell darin einig, dass wir für den Rest unseres Lebens weiter Musik machen wollten. Green Day und meine Frau sind für mich die Dreh- und Angelpunkte meines Erwachsenseins.
Hört man «Fancy Sauce», so wird deutlich, dass Sie die Beatles sehr gemocht haben.
Armstrong: Die Beatles waren immer ein markanter Einfluss für uns. Sie lebten den Traum, den wir später auch lebten, sie ebneten uns den Weg. Ich liebe sowieso diese ganzen britischen Rocker, The Who, The Animals, The Kinks, auch auf Glamrock stehe ich total. The Sweet sind einfach geil, und David Bowie könnte ich den ganzen Tag hören.
Das akustische, weiche und an Cat Stevens «Father and Son» erinnernde «Father To A Son» sticht aus den Uptempo-Nummern deutlich heraus.
Armstrong: Den Song habe ich meinen beiden Söhnen gewidmet, die jetzt 28 und 25 Jahre alt sind. Ich schrieb «Wake Me Up When September Ends» vor zwanzig Jahren über meinen Vater. Ich war zehn, als er starb. Dann wurde ich früh selber Vater und wusste einfach nicht, was ich tat, was von mir erwartet wurde. Ich gab mein Bestes und war immer dabei, als diese Babys zu Jungs, diese Jungs zu jungen Männern wurden.
Ihnen, Billie Joe, scheint das Alter wenig anzuhaben.
Armstrong: Ach nein (kommt mit dem Gesicht ganz nah an die Kameralinse)? Kannst du sie nicht sehen, die ganzen Falten? Du hast schon Recht, das Alter ist gut zu uns. Sicher, ich färbe mir die Haare, aber ich färbe mir die Haare schon, seit ich fünfzehn war. Das ist eben Punk-Rock. Ich stand immer auf Mode, und meine Frisur war auch so ein bisschen ein Statement für mich. Ich wüsste nicht mal, ob ich in echt grau bin, weil ich einfach immer gefärbt habe. (Lacht.)
Sie sind mittlerweile allesamt 51 Jahre alt. Was denken Sie, wenn Sie sich mit gleichaltrigen Freunden vergleichen, die nicht in Rockbands spielen?
Dirnt (lacht): Wir haben eine sehr gute Lebensentscheidung getroffen. Rock ’n’ Roll ist eine Kunstform, die zur Ruhelosigkeit einlädt. Du bist immer in Bewegung, im Kopf wie auf der Bühne. Unsere Band ist ein natürliches Fitnessprogramm.
Armstrong: Interessanterweise arbeiten viele meiner Punkrockfreunde von früher heute als Lehrer. Manche auch als Aktivisten. Überhaupt haben die meisten ehrenwerte Jobs ergriffen.
Und Sie, Billie Joe, sind Sie als politisch engagierter Lyriker auch ein Aktivist?
Armstrong: Ich weiss nicht, ob das nicht zu viel der Ehre ist. Wir alle in der Band sind gegen Krieg, aber ist das denn schon Aktivismus oder einfach gesunder Menschenverstand? Ein Aktivist ist für mich eher jemand wie ein enger Freund von mir. Er hat ein Refugium für Schimpansen gegründet, die jahrelang als Versuchstiere leben mussten und jetzt zum ersten Mal überhaupt richtige Erde unter ihren Füssen spüren können. Ich weine Freudentränen, wenn ich sehe, wie diese Tiere nun zwischen den Bäumen herumspringen und wie glücklich sie dabei aussehen.