Werden wir alle überwacht? Liest der Geheimdienst meine Mails? Sieben Fragen und Antworten zur «Republik»-Recherche zur Massenüberwachung
Es erinnert an orwellsche Zustände: «Der Bund überwacht uns alle», titelt das Online-Magazin «Republik». Was ist da los? Sieben Fragen und Antworten.
Worum geht es genau?
Um Überwachung des Datenverkehrs, die sogenannte Kabelaufklärung: Internationale Glasfaserkabel werden angezapft, um Informationen zu beschaffen. Ziel ist es beispielsweise, Terroristen auf die Spur zu kommen. Anders als 2016 im Abstimmungskampf versichert, sei es heute ein «Programm zur Massenüberwachung», schreibt die «Republik».
Wer und was ist alles betroffen?
Mails, Chats und Suchanfragen von uns allen. «Die allermeiste Kommunikation läuft über internationale Server», sagt Erik Schönenberger, Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft. «Daher sind wir alle betroffen.» Inwieweit auch verschlüsselte Informationen oder Anbieter sicherer Kommunikation betroffen sind, wisse man nicht. Die Digitale Gesellschaft hat 2017 gegen die Kabelaufklärung Beschwerde eingelegt, das Verfahren ist hängig. Dabei musste der Nachrichtendienst Einblick in die Funktionsweise geben.
Wie funktioniert die Kabelaufklärung genau?
Die Datenströme werden nach gewissen Suchbegriffen durchsucht – welche, ist geheim. Wird ein Begriff gefunden, prüfen die Analysten des Zentrum für elektronische Operationen der Armee (ZEO) die Daten «manuell und inhaltlich detailliert», wie die «Republik» schreibt. Je nach Ergebnis werden die Daten dann an den Nachrichtendienst des Bundes weitergeleitet. Nicht erlaubt ist dies, wenn Sender und Empfänger in der Schweiz sind. Das ZEO hält in einer Stellungnahme zuhanden des Bundesverwaltungsgericht fest: «Auf rein inländische Kommunikation (CH-CH) können die Mitarbeitenden nicht zugreifen.»
Warum ist das ein Problem?
«Es ist belegt, dass Menschen ihr Verhalten ändern, wenn sie überwacht sind oder sich überwacht fühlen. Sie suchen dann beispielsweise nicht mehr nach gewissen Themen. Das kann die Gesellschaft verändern», sagt Schönenberger von der Digitalen Gesellschaft. Problematisch sei zudem, dass das Berufsgeheimnis – etwa von Anwälten oder Ärztinnen – und der Quellenschutz im Journalismus nicht gewahrt sei.
Die Argumentation, dass die inländische Kommunikation nicht betroffen ist, überzeugt ihn nicht. «Auch wenn das nachher rausgefiltert wird: Wenn die Kommunikation auf gewisse Begriffe durchsucht wird, findet bereits eine Überwachung statt.»
Worauf gründet der Vorwurf, die Politik habe anderes versprochen?
Im Abstimmungsbüchlein hiess es, die Regeln seien so eng gefasst, dass «eine flächendeckende Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger ausgeschlossen ist». Der damalige Bundesrat Ueli Maurer sagte: «Es geht nicht darum, flächendeckend alles zu überwachen und mit Filtern und Stichworten zu suchen.» Und: Kabelaufklärung sei nur dann möglich, wenn einer der Partner im Ausland sei.
Was sagt der Nachrichtendienst?
«Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) macht keine flächendeckende Überwachung der Bevölkerung und keine Massenüberwachung», hält eine Sprecherin fest. Der NDB habe keine Generalvollmacht, sondern verfüge «über Instrumente für gezielte Eingriffe bei besonderen Bedrohungslagen». Aufträge zur Kabelaufklärung müssten genehmigt werden; die gesamte Aktivität des NDB werde von den Aufsichtsorganen laufend überwacht und streng kontrolliert.
Was sagen die Aufsichtsbehörden?
Prisca Fischer leitet die unabhängige Aufsichtsbehörde des Nachrichtendienstes. Sie sagt: «Die Kabelabklärung liefert ein grosses Potenzial zur Informationsgewinnung. Das heisst noch nicht, dass in der Schweiz eine Massenüberwachung stattfindet. Es gibt technische Hürden und es ist auch eine Ressourcenfrage. Und es gibt rechtliche Vorgaben.»
Die Aufsichtsbehörde hat 2022 eine Prüfung des ZEO durchgeführt. «Wir haben festgestellt, dass das ZEO sich an die rechtlichen Leitplanken hält und nur weiterleitet, was erlaubt ist», sagt Fischer. Sie betont, die Aufgabenteilung zwischen ZEO und NDB sei eine gute Lösung: Das ZEO führe die Kabelaufklärung durch, tätige aber keine nachrichtendienstlichen Analysen. Das ZEO habe kein Interesse, das Gesetz nicht richtig anzuwenden, da es die gewonnenen Angaben nicht für eigenen Zwecke benutzen dürfe.
Für die Aufsicht zuständig ist auch die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments, die GPDel. Präsident Stefan Müller-Altermatt sagt: «Die GPDel überwacht als Oberaufsicht ständig, ob die Kabelaufklärung recht- und verhältnismässig ist. Wir haben keine unerlaubte Massenüberwachung festgestellt.» Zum Vorwurf, dass die Kabelaufklärung anders umgesetzt werde als im Vorfeld der Abstimmung erklärt, äussert sich Müller-Altermatt nicht: «Die GPDel nimmt keine politische Würdigung vor.»