Einsammeln, was andere wegwerfen: Rothrister Abfallsammlerinnen suchen Verstärkung
Nein, Small-Talk wird in dieser Kaffeerunde von fünf Damen und einem Herrn wirklich nicht betrieben. Im Gegensatz zur gepflegten Atmosphäre des Rothrister Cafés, in dem sie sitzen, ist ihr Gesprächsthema eher «gruusig». Abfall, der von allzu vielen Menschen in kleinen Mengen überall dort weggeworfen oder liegengelassen wird, wo es ihnen gerade beliebt. Den Strassen entlang, auf Plätzen, in der freien Natur. Eigentlich überall. Littering nennt sich das Problem im Fachjargon.
Ein Problem, das unheimlich hohe Kosten verursacht. Denn das Aufräumen der achtlos weggeworfenen Abfälle führt bei den kantonalen Unterhaltsdiensten, bei Werkhöfen der Gemeinden, aber auch bei privaten Organisationen zu einem gigantischen Reinigungsaufwand. Schweizweit beträgt dieser jährliche Mehraufwand für die Reinigung der Räume rund 150 Millionen Franken, wie in einer 2011 veröffentlichten Studie des Bundesamts für Umwelt (BAFU) errechnet wurde. Weitere 50 Millionen Franken Zusatzkosten entstehen beim öffentlichen Verkehr. Insgesamt sind das also 200 Millionen Franken, die letztendlich vom Steuerzahlenden berappt werden müssen.
Ebenso eindrücklich wie erschreckend sind die Zahlen, welche das Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau bezüglich Littering-Kosten ausweist. Allein beim Aargauer Strassenunterhaltsdienst führen Littering und Abfallentsorgung zu einem zusätzlichen Reinigungsaufwand von rund 12000 bis 13000 Arbeitsstunden – mit Mehrkosten von rund 1 Million Franken jährlich.
Freiwilligenarbeit für ein sauberes Dorf
Littering stört, das ist unbestritten. Seit vielen Jahren setzt sich die Rothristerin Esther Marbach auf freiwilliger Basis für eine saubere Umwelt ein. «Mich nervt es unheimlich, wenn Leute Abfall wegwerfen oder einfach liegenlassen», sagt die 66-Jährige. Jeden Tag ist sie deshalb mit E-Bike samt Anhänger unterwegs und sammelt ein, was herumliegt, wo es nicht hingehört: PET-Flaschen, Aludosen, Bierflaschen, Take-away-Verpackungen, Einwegbecher, Zigarettenstummel, Papiertaschentücher, Tragtaschen, Plastiksäcke – ja sogar volle Windeln hat sie auf ihren täglichen Touren schon gefunden. Weil sie der Natur Sorge tragen will.
«Wir brauchen die Natur, aber die Natur braucht uns nicht», lautet die klare Botschaft der ehemaligen Bürokraft und Alterspflegerin.
Auf einen Hinweis aus der Umweltschutzkommission ist der Rothrister Gemeinderat 2018 auf das Engagement von Esther Marbach aufmerksam geworden. Und hat dann mit einem Aufruf im «Wiggertaler» versucht, weitere freiwillige «Ghüdersammlerinnen und -sammler» zu finden. Ein Aufruf, der von Erfolg gekrönt war. «Seither gehörten stets fünf bis sieben Sammlerinnen und Sammler zum Team», sagt der zuständige Gemeinderat Hans Rudolf Sägesser. Aktuell sind das neben Marbach Susanna Hofer, Heidi Läubli, Rita Schär und Rosmarie Schlapbach. «Wir sind dem Team der Freiwilligen enorm dankbar, dass sie mit ihrem Einsatz mithelfen, unsere Gemeinde sauber zu halten», betont Sägesser.
«Ich bin jeden Tag unterwegs», sagt Marbach. Nicht nur im Dorf, sondern auch auswärts. «Wenn ich irgendwo Abfall sehe, kann ich ihn einfach nicht liegenlassen», führt sie aus. Über Zeitaufwand und «Sammelergebnis» führt sie fein säuberlich Buch. Rund 1050 Stunden – davon vielleicht etwa die Hälfte auf Rothrister Boden – war sie in den beiden letzten Jahren jeweils unterwegs. Umgerechnet sind das im Durchschnitt fast drei Stunden täglich, während denen die 66-Jährige Abfall sammelt. Und gleichzeitig Recycling betreibt. 19458 PET-Flaschen, 50852 Aludosen und 8864 Glasgebinde konnten dank Marbach 2023 der Wiederverwertung zugeführt werden. Ein gewaltiger Abfallberg, welchen die Rothrister «Ghüderwehr» alljährlich im Werkhof abliefert. Denn auch die weiteren Mitglieder des Teams sind viel unterwegs. Konkrete Zahlen fürs vergangene Jahr sind in der Statistik noch nicht erfasst. Es dürften aber bei jedem Mitglied zwischen 150 und 200 Stunden jährlich sein, meint Sägesser. Und ebenfalls mit grossem Sammelergebnis.
Patentrezepte gegen Littering gibt es nicht
Die Pandemie-Jahre haben das Littering-Problem eher noch verstärkt. Man war damals verständlicherweise wann immer es ging draussen – mit der Folge, dass auch vermehrt Müll liegen blieb. Seither will die Interessengemeinschaft für eine saubere Umwelt (IGSU) ein verstärktes Umweltbewusstsein ausgemacht haben und gemäss einer Umfrage vom November 2023 sieht die IGSU auch eine Entspannung beim Littering-Problem. Doch die Zahlen der Rothrister Abfallsammlerinnen zeigen ein anderes Bild. Sie verharren auf nach wie vor hohem Niveau. «Seit der Pandemie haben wir allenfalls ein einzelnes Littering-Problem in den Griff bekommen», sagt Sägesser und schmunzelt. «Wir müssen heute keine Masken mehr einsammeln, die zur Zeit der Pandemie zu Tausenden weggeworfen wurden», sagt er.
Littering ist längst zum Dauerproblem geworden. Eine Frage der Erziehung? Fehlender Anstand? Mangelndes Umweltbewusstsein? Einfach Faulheit, den Weg zum nächsten Müllcontainer unter die Füsse zu nehmen? Eine gewisse Ratlosigkeit macht sich dem Phänomen gegenüber breit – Patentrezepte gegen Littering gibt es mit Sicherheit nicht. Vorschriften helfen kaum, Bussen, wie es sie im Aargau gibt, sind weitgehend wirkungslos, sagt Sägesser.
Eine Feststellung lässt sich aber aus den Erfahrungen der Rothrister Abfallsammlerinnen mit Bestimmtheit machen: Wo schon ein Abfallhaufen ist, dort wird er schnell grösser. Oder umgekehrt formuliert: Wo es sauber ist, dort sind die Hemmungen grösser, Abfall einfach liegenzulassen. «Gerade deshalb ist unsere Arbeit so enorm wichtig für eine sauberes Dorf», betont Rita Schär.
Abfallsammlerinnen suchen Verstärkung
Nun suchen die Rothrister Abfallsammlerinnen weitere freiwillige Helferinnen und Helfer, denen ein sauberes Dorf ebenfalls am Herzen liegt. Denn es ist absehbar, dass Marbach ihre Sammeltätigkeit gesundheitsbedingt einstellen muss. Interessierte können sich bei Jérôme Barmet, Leiter Werkhof, E-Mail: jerome.barmet@rothrist.ch oder Tel. 062 785 36 45 oder direkt bei einer der Abfallsammlerinnen melden. Als Belohnung winkt jeweils ein von der Gemeinde ausgerichtetes Weihnachtsessen.