Zahlreiche Grossprojekte gescheitert: Solaroffensive vor der Bewährungsprobe
Die Solaroffensive erlebt einen weiteren Dämpfer. Am Montagabend hat die Bevölkerung in der Bündner Gemeinde Surses einem der grössten geplanten Solarprojekte in den Alpen den Stecker gezogen. Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich wollte auf einer Fläche von 93 Fussballfeldern Solarmodule bauen, um Strom für 20’000 Haushalte zu produzieren.
Doch an der Gemeindeversammlung wurde das Projekt mit fast 70 Prozent Nein-Stimmen wuchtig abgelehnt. Bedenken hatten nicht nur Landschaftsschützer, sondern auch Tourismusverantwortliche. Der Gemeinde entgehen durch das Nein der Bevölkerung geschätzte Einnahmen von 600’000 Franken pro Jahr.
Dabei hatte alles so gut begonnen. Wegen der drohenden Strommangellage waren letztes Jahr Projekte für grosse Photovoltaikanlagen in den Alpen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Dies, nachdem National- und Ständerat im Herbst 2022 die Solaroffensive in Rekordzeit durchs Parlament gepeitscht hatten. Das Versprechen der Politik: üppige Subventionen für alpine Grossanlagen.
Surses ist kein Einzelfall
Vielerorts ist die Euphorie der Realität gewichen. Denn das deutliche Volksverdikt in Surses ist kein Einzelfall. Seit letztem Jahr sind mindestens zehn weitere Projekte an der Urne gescheitert. Bei 16 Bauvorhaben hat das Stimmvolk grünes Licht gegeben. Das zeigt eine Auflistung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), die CH Media vorliegt.
Unter den gescheiterten Grossprojekten sind jenes der Axpo im bündnerischen Ilanz, wo auf zwei Alpen Strom für mehr als 14’000 Haushalte hätte produziert werden sollen. Oder die Anlage Solar Alpin in Disentis mit Strom für 10’000 Haushalte. Laut VSE sind derzeit 54 Solargrossanlagen in den Alpen geplant. Zusammen könnten sie dereinst 1,2 Terawattstunden Strom pro Jahr liefern, einen Drittel davon im Winter.
Wie viele Projekte am Ende realisiert werden, steht in den Sternen. Darauf lässt ein Blick auf eine weitere Liste schliessen. Das Bundesamt für Energie führt jene Projekte auf, die bereits öffentlich aufgelegt sind. Bislang sind es deren sieben. Geplante Stromproduktion? 0,14 Terawattstunden pro Jahr.
Lokale Bevölkerung muss mitmachen
Ist die Solaroffensive schon vorbei, bevor sie begonnen hat? Nein, findet Stefan Engler. «Die Solaroffensive steht nicht auf der Kippe», sagt der Bündner Mitte-Ständerat. Das Gesetz biete keine Garantie, wie viel Strom zugebaut würde. «Es spricht für die Schweiz, dass die betroffene Bevölkerung am Ende das letzte Wort hat.»
Als Verwaltungsratspräsident des Elektrizitätswerkes Davos ist Engler selbst bei einem geplanten Solarprojekt auf dem Parsenn involviert. Dieses wurde von der lokalen Stimmbevölkerung mit 75 Prozent gutgeheissen. Anders als beim gescheiterten Projekt in Surses sei es nicht um eine unberührte Landschaft gegangen, so Engler. Auch sei mit dem Einbezug des lokalen Elektrizitätswerks das Projekt besser regional verankert gewesen.
Auch der Zürcher Grüne-Nationalrat Bastien Girod findet das Vorgehen gut und richtig. Bedingung für die Solaroffensive sei, dass die lokale Bevölkerung mitmache. «Die Energiewende muss für alle ein Gewinn sein.» Girod stellt sich eher die Frage, ob der Zeitdruck aus heutiger Sicht noch gerechtfertigt sei.
Vor dem Hintergrund einer Stromkrise hatte das Parlament einen äusserst ehrgeizigen Fahrplan vorgegeben. Um von den grosszügigen Subventionen und den gelockerten Umweltauflagen zu profitieren, müssen mindestens 10 Prozent der Anlage bis Ende 2025 ans Netz. Girod schlägt vor, die Frist ganz auszusetzen und das Verfahren zu belassen, bis das avisierte Ziel von 2 Terawattstunden Strom erreicht ist. «So ein Gejufel ist kontraproduktiv!»