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In Haus eingebrochen, Kaminfeuer entfacht und auf der Flucht eine Stromrechnung in der Unterhose versteckt

Vor dem Bezirksgericht Lenzburg wurde ein Fall von ungewöhnlichen Umständen verhandelt. Der Beschuldigte soll unter anderem eingebrochen sein, aber auch den Zugverkehr lahmgelegt haben.

Es klingt unglaublich. Und doch soll sich die Geschichte gemäss Anklageschrift genau so zugetragen haben. Der Protagonist, ein 25-jähriger Mann aus Spanien, sass vergangenen Dienstag vor dem Bezirksgericht Lenzburg. Pablo B. (Name geändert) soll zunächst den Inhalt eines Pakets aus einem Briefkasten in Othmarsingen entwendet haben, das Kinderkleidung zur Rücksendung enthielt. Er öffnete das Paket an einem unbekannten Ort und nahm die sich darin befindlichen Kinderkleider im Wert von 148.75 Franken an sich. Ausserdem soll er im vergangenen September in ein Haus im Aeugstertal eingebrochen sein.

Der Fall nahm skurrile Züge an: Pablo B. soll für eine gewisse Zeit im Haus verblieben sein, den Computer der Hausbesitzerin benutzt, ein Feuer im Cheminée entfacht und sich am Joghurt aus dem Kühlschrank bedient haben. Als die Hausbesitzerin zurückkehrte, den Eindringling im Keller auffand und vor Schreck nach draussen flüchtete, verschanzte sich Pablo B. in ihrem Haus, indem er die Türen verschloss. Als die herbeigerufene Polizei in das Haus eindrang, versuchte Pablo B. zu flüchten, wurde aber gefasst – mit einem Damenring der Hausbesitzerin am Finger, diversen geklauten Schlüsseln und einer Rechnung der Elektrizitätswerke des Kantons Zürich, versteckt in seiner Unterhose.

Die Staatsanwaltschaft Lenzburg Aarau geht davon aus, dass er den Ring im geschätzten Wert von 800 Franken an sich nahm, um ihn zu verkaufen. Die Rechnung habe er wohl für einen Check gehalten, mit dem man Bargeld erhältlich machen kann. Zu allem hinzu kommt: Pablo B. hätte sich gar nicht in Aeugstertal aufhalten dürfen. Mit Verfügung des Migrationsamtes des Kantons Zürich wurde er nämlich aus dem gesamten Zürcherischen Kantonsgebiet ausgegrenzt.

Zugverkehr massiv gestört

Ein weiterer Vorwurf betrifft die Tatsache, dass der Beschuldigte im letzten August gegen 18.41 Uhr die Gleise am Bahnhof Othmarsingen überquerte und sich, den Gleisen entlanglaufend und sie wiederholt überschreitend, in Richtung Lenzburg/Hendschiken begab. Aufgrund des Vorfalls mussten alle auf der betreffenden Strecke verkehrenden Züge mit Sicht-Tempo fahren.

Das hatte Auswirkungen auf den weiteren Zugverkehr: Total waren 135 Personenzüge, 28 Cargo-Züge und 201 SBB-Betriebszentralen betroffen. Die SBB beziffert den entstandenen Schaden auf 26’941.23 Franken. Gegen 19.25 Uhr konnte Pablo B. mittels Drohnen gesichtet, angehalten und zum Bahnhof Hendschiken gebracht werden.

Suchte Arbeit in der Schweiz

Die Verhandlung eröffnete die Gerichtspräsidentin Eva Lüscher mit der Frage, weshalb der Beschuldigte überhaupt in die Schweiz gekommen sei. Seine Antwort: Er wollte ursprünglich als Au-Pair eine Arbeit finden – oder eben sonst einen Job. Der junge Mann sass mit Fuss- und Handschellen auf dem Stuhl, verhielt sich ruhig und sprach undeutlich. Was er auf Spanisch sagte, wurde von der Dolmetscherin übersetzt. Nach der ersten halben Stunde der Verhandlung durfte einer der zwei anwesenden Polizisten Pablo B. die Handschellen lösen.

Nach und nach befragte die Gerichtspräsidentin den Beschuldigten zu seinen Vergehen. Warum er den Inhalt des Paketes gestohlen habe, zum Beispiel. Es habe ihn bloss Wunder genommen, was darin sei, meinte Pablo B.. Warum er in das Wohnhaus eingedrungen sei? Daran könne er sich nicht erinnern. Er wollte eben dort sein. Auch die Besitzerin des Hauses im Aeugstertal war als Privatklägerin vor Ort. Sie wirkte von der ganzen Situation berührt, verhielt sich aber gefasst.

«Kein Grund für derart hohe Strafe»

Der Pflichtverteidiger des Beschuldigten sagte in seinem Plädoyer, dass es sich bei gewissen Handlungen von Pablo B. um «Kurzschlussreaktionen» gehandelt habe. Den Ring zum Beispiel, habe der Beschuldigte nur vorübergehend getragen und auch sonst wollte er nichts stehlen, sonst hätte er versucht, so viel wie möglich aus dem Haus zu tragen. Er hätte es sich dort «einfach bequem gemacht». Auf jeden Fall bestünde kein Grund für eine derart hohe Freiheitsstrafe oder gar einem Landesverweis. Nach dem Plädoyer hatte der Beschuldigte das letzte Wort. Pablo B. sagte zum Schluss nur noch: «Ich weiss nicht, was zu tun ist.»

Das Bezirksgericht Lenzburg sprach den jungen Mann in mehreren Punkten schuldig, darunter mehrfacher Diebstahl und Hausfriedensbruch. Weiter verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten und eine Busse von 100 Franken. Zudem wird Pablo B. für fünf Jahre des Landes verwiesen. Schliesslich verfügte die Gerichtspräsidentin, dass der Beschuldigte in Sicherheitshaft geht.