Hochseilartist Freddy Nock starb eines «nicht natürlichen Todes»
«Auf einem Seil vom kleinen auf das grosse Matterhorn zu laufen, ist eines meiner noch grossen Ziele», sagte der Hochseilartist und Extremsportler Freddy Nock aus Uerkheim immer wieder. Dieser Wunsch bleibt dem 30-fachen Weltrekordhalter verwehrt. Er wurde am 7. Februar gegen 11.30 Uhr von der Polizei leblos in seiner Wohnung in Uerkheim gefunden. Am 10. Dezember wäre er 60 Jahre alt geworden.
Die genauen Umstände, die zu seinem Tod geführt habe, sind noch unklar. «Wir haben keine Hinweise auf ein Delikt», sagt Corina Winkler, Sprecherin der Aargauer Kantonspolizei auf Anfrage dieser Zeitung. Wie der «Landanzeiger» weiss, ist Freddy Nock eines «nicht natürlichen Todes» gestorben. Ob es ein Unfall oder ein Suizid war, wird zurzeit noch abgeklärt. Er dürfte aber bereits einige Tage tot in seiner Wohnung gelegen sein, wie der «Landanzeiger» aus sicherer Quelle weiss.
«Tieftraurig haben wir vom Tod von Freddy Nock erfahren», schreibt die Zirkusfamilie Knie auf ihrer Webseite. «Freddy war nicht nur ein Ausnahme-Artist, sondern auch ein lieber Freund. Unsere gemeinsame Tournee und die besonderen Auftritte wie etwa der Lauf auf dem Hochseil über dem Zürichsee werden für immer in Erinnerung bleiben. Wir wünschen seinen Kindern und seiner Familie viel Kraft und sprechen unser herzliches Beileid aus. Freddy, wir werden dich vermissen! Deine Familie Knie»
«The Sky is the limit …, war sein Spruch, und im Sky ist er jetzt wohl angelangt», schreibt ein ehemaliger Freund aus Österreich auf Facebook. «Die Circuswelt hat einen wunderbaren Menschen verloren. Ruhe in Frieden lieber Freddy.»
Freddy Nock war beliebt, zugänglich und hilfsbereit. Das bestätigen viele Einwohnerinnen und Einwohner in Uerkheim. Er liebte die grosse Show, das Rampenlicht, aber auch «seine Schweiz» und vor allem seine Kinder. Als er ins Uerkental zog, war es für ihn selbstverständlich, dass man auch Feuerwehrdienst absolviert. An einem Dorffest in Uerkheim lief er mehrfach auf dem extra gespannten Seil vom Gemeindehaus hinüber zur Dorfkirche und zurück. Spätabends sorgte er persönlich zusammen mit Töff-Kollegen für ein Spektakel in einer grossen Stahlkugel, der sogenannten «Todeskugel». Er lotete seine Grenzen ständig aus, immer mit dem Ziel, der Beste zu sein. «Alle meine Kinder können Seil laufen und haben das vom besten Trainer gelernt, ihrem Vater», sagte er einst stolz.
Freddy Nock stammt aus der Zirkusfamilie Nock und machte seine ersten Erfahrungen auf dem Seil im Alter von vier Jahren. Mit elf Jahren begann er mit dem Hochseillauf. Bereits seine Grosseltern waren Seilläufer. Als sein Vater Alfredo 1985 eine Zirkuszeltvermietung gründete, ging Freddy mit der Familie seiner Tante auf Tournee und setzte seine artistische Laufbahn fort. In der Folge wurde er bei verschiedenen internationalen Nachwuchsfestivals für Artisten ausgezeichnet. 1994 gewann er mit der Truppe White Angels die Silbermedaille beim Internationalen Zirkusfestival von Monte Carlo.
Seit Ende der 1990er Jahre gelangen ihm verschiedene Weltrekorde. Seinen ersten Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde sicherte er sich 1998 mit dem Lauf auf dem Tragseil der St. Moritzer Signalbahn über eine Distanz von 734 Meter. Danach folgten weitere Weltrekorde, unter anderem im Mai 2006 mit dem Lauf auf dem Tragseil der Säntis-Schwebebahn über eine Distanz von 1222,7 Meter.
Seinen sechsten Weltrekord stellte er am 30. April 2010 in Zürich auf, wo er über eine Distanz von 900 Meter auf einem Hochseil den Zürichsee überquerte. Am 20. August 2011 gelang ihm ein Weltrekord auf der Zugspitze. Ohne jede Sicherung und Balancierstange lief er auf einem 5 Zentimeter dicken Tragseil der Gletscherbahn in 90 Minuten auf Deutschlands höchsten Berg. Dabei legte er eine Distanz von 995 Meter zurück und überwand eine Höhendifferenz von 348 Metern. Die Steigung betrug bis zu 57 Prozent.
Im Januar 2012 wurde Freddy Nock eine besondere Ehre, ausserhalb der Zirkuswelt, zu teil. Er wurde mit dem SwissAward in der Kategorie «Show» ausgezeichnet. Die nationale Bewunderung für ihn erreichte damals ihren Höhepunkt. Eine ganz spezielle Weltrekord-Idee auf dem Hochseil präsentierte er im Oktober 2018 auf einem Feld in Uerkheim. Er plante unterhalb eines Heissluftballons auf 5000 Meter aufsteigen und dort über eine 16 Meter lange Traverse zu balancieren. Zuerst mit der Stange in der Hand, danach ohne Stange und zu guter Letzt auf einem speziellen Fahrrad. Erste Tests in Uerkheim verliefen im Beisein der Medien sehr spektakulär, aber nicht reibungslos.
Freddy Nock war zweimal verheiratet. Die zweite Ehe war geprägt von vielen Höhen und Tiefen und einem bis zum Schluss andauernden Rosenkrieg um den gemeinsamen Sohn. Diesen nahm Nock schon früh mit aufs Seil und führte ihn an die Zirkuswelt heran. Gerne hätte er gesehen, dass sein Sohn in seine Fussstapfen tritt. Die Beziehung zwischen ihm und seiner zweiten Frau machte Schlagzeilen. 2013 heiratete das Paar auf dem Hochseil im Bruno-Weber-Skulpturenpark in Dietikon, zwei Jahre später verliess sie ihn wieder. Die beiden kamen zwischenzeitlich zwar wieder zusammen, doch 2017 trennten sie sich endgültig.
Die Beziehung beschäftigte auch die Justiz. Die Staatsanwaltschaft warf Nock versuchte vorsätzliche Tötung und mehrfache Körperverletzung vor. Das Bezirksgericht Zofingen verurteilte ihn Ende 2019 zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren. Die Richter liessen ihn direkt aus dem Gerichtssaal ins Gefängnis abführen. Zwar kippte das Obergericht im Jahr darauf das Urteil, doch von da an war Freddy Nock ein «gebrochener Mann».
Die negativen Schlagzeilen und Corona verunmöglichten überlebenswichtige Auftritte. Der Name Freddy Nock wurde nicht mehr mit Weltrekorden, grossen Shows und wohltätigen Auftritten in Zusammenhang gebracht, sondern mit Wutausbrüchen, Gewalt und Brutalität gegen seine eigene Frau. Diesen negativen Ruf konnte auch der Freispruch vor Gericht nicht beseitigen.
Am 23. Juni 2020 schrieb er sich noch einmal ins Weltrekordbuch ein: «Um die Künstler aus der ganzen Welt zu ehren, die während des Lockdowns nicht auftreten konnten, habe ich auf dem «Glacier 3000» drei neue Weltrekorde auf dem Hochseil aufgestellt!», freute sich Nock unmittelbar danach. Anlässlich der Weihnachtstour 2023 trat er zuletzt mit dem Todesrad im Circus Roncalli in Deutschland auf. In diesem Frühjahr wollte er zudem auf 5000 Metern Höhe, den Mehrfachweltrekordversuch mit dem Balanceakt unterhalb des Heissluftballons angehen.
Weshalb sein Leben plötzlich aus der Balance geriet, weiss nur er selbst. Freddy Nock hinterlässt fünf Kinder, vier Mädchen aus erster und einen Sohn aus zweiter Ehe. In einem Interview mit dem «Zofinger Tagblatt» sagte er einst: «Die Welt braucht Spinner wie uns, um mit den Fingern auf uns zu zeigen und von den eigenen Problemen abzulenken.»