SVP Aargau will Geflüchteten das Asylgeld nicht mehr bar auszahlen – «nur heisse Luft», entgegnet ein SP-Grossrat
Karte statt Bargeld. Was verschiedene deutsche Bundesländer planen, will die Kantonalpartei der SVP nun auch im Kanton Aargau einführen: Geflüchtete sollen ihre finanzielle Unterstützung nicht mehr bar ausbezahlt, sondern in Form einer Bezahlkarte erhalten. Dies fordert SVP-Grossrat Mario Gratwohl in einer Motion.
Die Karte, die Gratwohl vorschwebt, funktioniert dabei ähnlich wie eine normale Bankkarte – nur ohne Kontobindung. Das Migrationsamt überweist das Verpflegungs- und Taschengeld Asylsuchenden und Abgewiesenen auf eine Karte. Die Geflüchteten können diese überall dort verwenden, wo Debit- oder EC-Karten zum Einsatz kommen. Überweisungen aber sollen nicht möglich sein.
Denn genau solche Geldtransfers will Gratwohl mit der Karte für Asylsuchende verhindern. Die finanzielle Unterstützung der Schweiz an Flüchtlinge werde zum Teil dazu missbraucht, Gelder in die Herkunftsländer zu schicken oder an Schlepperbanden weiterzuleiten, behauptet der SVP-Grossrat aus Niederwil.
Abschreckung durch eine Karte
Er sieht zahlreiche Vorteile in der Einführung einer Bezahlkarte. Das Risiko von Missbrauch der Asylgelder für illegale Aktivitäten werde unterbunden, die regionale Wirtschaft gestärkt, die Integration durch den lokalen Einkauf gefördert. Und nicht zuletzt werde ein Anreiz zur Migration reduziert: unbegründete Asylanträge durch sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge könnten so verringert werden. Abschreckung durch eine Karte.
Gratwohls Motion ist Teil eines schweizweiten Vorstosspakets der SVP. In den Kantonen St.Gallen und Basel-Stadt hat die Partei bereits Motionen für Bezahlkarten eingereicht. Und auf nationaler Ebene plant der St.Galler Nationalrat Mike Egger einen ähnlichen Vorstoss. Egger befürchtet, dass die Einführung der Karte in Deutschland zu Ausweichbewegungen von Asylsuchenden in die Schweiz führen werde, wie der SVP-Politiker gegenüber der NZZ ausführte.
Gratwohls Argumente klingen ähnlich wie jene im deutschen Bundestag. Die Karte leiste einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von Pull-Faktoren, begründete ein FDP-Sprecher. Der Begriff stammt aus der Migrationstheorie aus den 1960er-Jahren und bezeichnet positive Umstände im Zielland, welche Menschen anziehen sollen. In der Migrationsforschung gelten Pull-Faktoren als überschätzt und überholt.
Die Karte soll in Deutschland im Sommer eingeführt werden – kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Der Zeitpunkt ist kaum Zufall. Die migrationskritische AfD liegt in den Umfragen in den drei Bundesländern vorne. Ob das Kalkül tatsächlich aufgeht, ist fraglich. Denn die Ampelregierung ist selber gespalten. SPD und FDP sprechen sich für die Karte aus, die Grünen blockieren sie.
«Nur heisse Luft, einmal mehr»
Nicht grün und deutsch, sondern rot und Aargauer ist Rolf Schmid. Der SP-Grossrat und Präsident des Netzwerks Asyl findet den Vorschlag keine gute Idee. «Es ist nur heisse Luft, einmal mehr.» Die Motion suggeriere, dass die Asylsozialhilfe im Aargau genügend hergebe, um Gelder ins Herkunftsland schicken zu können, sagt Schmid. Doch dies sei fernab jeglicher Realität: «Mit 9 Franken pro Tag ist dies schlicht nicht möglich.»
Zwar sind ihm durchaus Fälle bekannt, in denen Asylsuchende Geld an ihre Familien schicken. Doch dies seien Personen, die arbeiten oder sich das Geld leihen würden, sagt Schmid. «Oft handelt es sich dabei um familiäre Notfälle. Sie verschulden sich, um etwa der Mutter eine Operation zu ermöglichen», sagt Schmid. Eine abschreckende Wirkung habe eine solche Karte kaum.
Der Kanton Aargau hingegen äusserte sich in einem Artikel der NZZ zurückhaltend positiv. Michel Hassler, Sprecher des Departements Gesundheit und Soziales von SVP-Regierungsrat Jean-Pierre Gallati, spricht von einem interessanten Ansatz, auch wenn eine solche Karte vorerst zu einem administrativen Mehraufwand führen würde. Doch wie Schmid betrachtet auch Hassler den Spielraum mit den 9 Franken Asylsozialhilfe für Geldtransfer als gering.
Wie viele Gelder fliessen überhaupt von Migrantinnen und Migranten in der Schweiz in ihre Herkunftsländer? Genaue Zahlen fehlen, doch es gibt Schätzungen. Der Bundesrat geht im Jahr 2020 von rund 7 Milliarden Franken aus, wie aus seiner Antwort auf einen Vorstoss von SVP-Nationalrat Andreas Glarner hervorgeht. Doch wer genau diese Gelder transferiert – ob eine Migrantin, die seit 30 Jahren in der Schweiz lebt und arbeitet, oder ein Geflüchteter, der erst vor wenigen Monaten sein Asylgesuch gestellt hat –, ist den Zahlen nicht zu entnehmen. Die Rücküberweisungen seien aber ein Sicherheitsnetz für Millionen von Menschen, so der Bundesrat.