«Ich lasse mir so etwas nicht anhängen»: Mann gerät in Rage und stört Gerichtsverhandlung
Mergim (Name geändert) fühlt sich ungerecht behandelt und kann sich nicht beherrschen. Bei der mündlichen Urteilsbegründung fällt er dem Gerichtspräsidenten immer wieder ins Wort, bringt seinen Ärger und seinen Frust lauthals zum Ausdruck.
Er habe nie dieselben Chancen gehabt wie alle anderen, sei immer schon bestraft worden in seinem Leben, habe noch nie recht bekommen. Vor dem Bezirksgericht in Lenzburg steht der kräftig gebaute 36-Jährige wegen versuchter Gewalt und Drohung gegenüber Behörden und Beamten.
Denn ähnliche Szenen hatten sich bereits an einem Montagnachmittag im Januar 2020 abgespielt, vor dem Bezirksgericht in Baden. Auch damals konnte sich Mergim nicht zusammenreissen, störte die mündliche Urteilsbegründung wiederholt. Angeklagt war er wegen Missbrauchs von Ausweisen und Schildern. Der Gerichtspräsidentin – diese bezeichnete er als «sehr verdorbener Mensch» – und der Gerichtsschreiberin sagte Mergim, dass er sie unendlich hasse.
Er werde lieber irgendwo runterspringen, als diese Ungerechtigkeit zuzulassen. Mehrmals hob er das Pult an, liess es auf den Boden knallen. Als die Verhandlung geschlossen wurde, weigerte er sich, den Gerichtssaal zu verlassen. Schliesslich liess die Gerichtspräsidentin die Polizei rufen.
Nachzulesen ist alles im Strafbefehl, gegen den Mergim im Mai 2021 Einsprache erheben liess und der nun als Anklageschrift galt. An der Verhandlung vor dem Bezirksgericht in Lenzburg wird auf Wunsch der amtlichen Verteidigerin auch die entsprechende Tonaufnahme abgespielt. Er sei zwar komplett ausser sich gewesen, auch unanständig, räumt der Beschuldigte ein in der Befragung durch Gerichtspräsident Daniel Aeschbach.
Aber es sei nichts passiert. Von ihm sei überhaupt keine Gefahr ausgegangen, niemand müsse vor ihm Angst haben. «Ich hatte nicht vor, jemandem etwas anzutun.» Es sei gemein, dass seine Worte verdreht, als Drohung ausgelegt werden, sagt Mergim.
Polizei und Gerichte schon mehrfach beschäftigt
Der Beschuldigte ist gebürtiger Kosovare, ledig und lebt bei seinen Eltern in einer Aargauer Gemeinde im Limmattal. Er hat die Schule bis zur neunten Klasse absolviert, aber keine Berufsausbildung abgeschlossen. Wegen einer psychischen Erkrankung ist Mergim seit seiner Kindheit in Therapie und nimmt Medikamente. Auskommen muss er laut seinen Angaben mit einer Rente von rund 700 Franken monatlich. Er versuche, eine Kampfsport-Schule aufbauen zu können, und hoffe, mit dieser dereinst sein Einkommen generieren zu können, führt er aus.
Während der ganzen Verhandlung wippt Mergim nervös mit dem linken Bein. Polizei und Gerichte, wird deutlich, hat er mehrfach beschäftigt in der Vergangenheit. Diese Vorfälle seien unnötig gewesen, hätten mit seiner Psyche zu tun gehabt, hält Mergim fest und betont: «Ich bin kein krimineller Mensch.»
Weiteres Mal die mündliche Urteilsbegründung gestört
Seine Verteidigerin weist darauf hin, dass der Beschuldigte an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung von deutlichem Ausmass leide. Er zeige starke Emotionen, agiere impulsiv. Die Gerichtsverhandlung Anfang 2020 in Baden habe er zwar strapaziert, nicht aber verunmöglicht. Er habe sich in die Enge getrieben gefühlt, sein Verhalten nicht mehr kontrollieren können, so die Verteidigerin. «Er wurde von seiner Krankheit übermannt.» Vorsätzlich gehandelt habe er nicht. Der Tatbestand sei nicht erfüllt, der Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen.
Das Gericht sieht es anders, verurteilt ihn zu einer unbedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 Franken. Dazu muss er die Verfahrenskosten und die Anklagegebühr von insgesamt über 5000 Franken zahlen. Die psychischen Defizite sind laut Gericht nicht so gravierend, als dass eine Schuldunfähigkeit gerechtfertigt sei.
«Wieso tun Sie mir das an? Wie können Sie das machen? Sehen Sie das Unrecht nicht?», ruft Mergim bei der mündlichen Urteilsbegründung dazwischen. Der Aufforderung, sich ruhig zu verhalten und zuzuhören, leistet er keine Folge, worauf der Gerichtspräsident die Verhandlung als geschlossen erklärt. Er werde das Urteil weiterziehen, redet sich der Verurteilte daraufhin in Rage, bevor er den Saal verlässt. «Ich lasse mir so etwas nicht anhängen.»