Uraltes Dampfschiff sollte dem Bodensee gehoben werden – dann riss ein Stahlseil
Das Dampfschiff «Säntis» war einst das modernste Schiff auf dem Bodensee. Es wurde 1892 mit einer Kohlefeuerung und einem Dreizylinder-Dampfkessel konstruiert und verkehrte 41 Jahre auf dem Bodensee. Zwar wurde das Schiff mehrmals technisch überholt und – damals als erstes seiner Art – auf den Betrieb mit einer Ölfeuerung umgerüstet.
Doch bald standen bei dem in die Jahre gekommenen Dampfschiff wieder äusserst kostspielige Revisionen an, die sich einfach nicht mehr rentierten. Aus Kostengründen verzichtete man sogar auf eine Verschrottung, und so wurden am 4. Mai 1933 mitten im Bodensee die Luken im Rumpf geöffnet und das Schiff versenkt. Wie ein Jahr zuvor wurde auch das Schwesterschiff der «Säntis», die «Helvetia», auf diese Weise kostensparend entsorgt.
Hätte man den Matrosen und dem Kapitän des Dampfschiffs «Säntis» am Tag der Versenkung des Schiffes im Bodensee gesagt, dass 91 Jahre später ein Team von Ingenieuren und Schiffsfreunden die «Säntis» mithilfe von Hightech-Unterwasserrobotern und einem U-Boot vom Grund des Bodensees bergen, hätten sie einen wohl für verrückt erklärt. Doch das wurde jetzt versucht. Eine Gruppe von Enthusiasten begann anfang Jahr, das am 4. Mai 1933 versenkte Dampfschiff «Säntis» für eine Bergung vorzubereiten und nach 91 Jahren zurück ans Tageslicht zu holen. Mit einer Crowdfunding-Aktion hat der Verein fast 260’000 Franken gesammelt, um die Bergung finanzieren zu können.
Unterwasserdrohnen sind im Einsatz
Das Wrack des Dampfschiffes liegt in 210 Metern Tiefe auf dem Grund des Bodensees. Das Team des Schiffsbergevereins arbeitete mithilfe von Unterwasserdrohnen in der Tiefe und befreite das Wrack des Dampfschiffs von Altlasten, wie zum Beispiel vom Schiff herabhängenden Leinen. So hat der Bergeverein Seile aus dem Jahr 1957 entfernt, die auf der Suche nach dem Wrack einer abgestürzten Swissair-Maschine über den Bodenseegrund gezogen worden waren.
Unter dem freigelegten Schiffswrack verlegten die Unterwasserroboter schliesslich mehrere Leinen. Dazu hat das Team eigens sogenannte Spüllanzen konstruiert, die mittels Wasserdruck Kanäle in den Seeboden unter der «Säntis» spülen und so den Weg freimachen für die Leinen. Diese wurden dann unter Wasser an einer zuvor zusammengeschweissten Bergungsvorrichtung eingehängt.
Die eigentliche Bergung begann vor zwei Wochen, als Hebesäcke in der Tiefe an der Konstruktion angebracht und mit Luft gefüllt wurden, um Auftrieb zu erzeugen. Für den Leiter der Bergungsmission, Silvan Paganini, war das ein entscheidender Moment, denn es bestand die Gefahr, dass das Wrack dabei auseinander bricht.
Paganini reparierte in seiner beruflichen Vergangenheit Ölleitungen in den Tiefen der Meere oder barg diese.
Es kommt nicht sofort an die Wasseroberfläche
Sobald das Schiff vom Boden abgehoben hat, sollte es auf einer sicheren Transporttiefe unter Wasser in die Salmsacher Bucht gezogen und erst dann ans Tageslicht befördert werden.
Doch es kam anders als geplant. Am vergangenen Freitag hat der Schiffsbergeverein die Plattform eingewassert, mit deren Hilfe das Wrack vom Seegrund geholt wird. Am Samstag hätten mit Luft gefüllte Säcke das an Seilen hängende Dampfschiff aus dem Schlick ziehen sollen. Dabei riss aber eines der Bergungsseile aus Stahl.
Ebenso hat eine der Tauchdrohnen einen auf die Schnelle irreparablen Schaden erlitten. «Der Drucksensor an der Tauchdrohne ist kaputt. Den werden wir übers Wochenende nicht mehr reparieren können, was uns im Zeitplan enorm zurückwirft», sagt Paganini.
Derzeit prüfen der Bergeverein und die Crews alle möglichen Optionen, das Jahrhundertprojekt dennoch zu einem guten Ende zu bringen. «Wir müssen jetzt so schnell wie möglich das Seil auf dem Wrack zusammenräumen und verlieren dadurch enorm viel Zeit.»
Kann das Projekt noch zu Ende geführt werden?
Für das Jahrhundertprojekt wird es zeitlich eng: Der Kanton Thurgau hat der Bergungsmission die Bewilligung eigentlich nur bis zum 30. April erteilt. Ebenso drohen die finanziellen Mittel des Vereins zur Neige zu gehen. Trotzdem heisst es im entsprechenden Communiqué: «Auch wenn der 17.4.2023 als Bergungstermin nicht gehalten werden kann, bleibt der Schiffsbergeverein zuversichtlich, die Bergung des 1933 versenkten Dampfschiffes in den nächsten Monaten zu schaffen.»
Es gehe nun neben der Reparatur des Tauchroboters darum, die Leinen in 210 Metern Wassertiefe zu entwirren, bevor die Bergung fortgesetzt werden könne. Wie lange das Ganze dauern wird? Bei dieser Frage wagt sich Silvan Paganini nicht auf die Äste hinaus. Er sagt: «Wir sind überzeugt, das Dampfschiff Säntis noch in diesem Sommer bergen zu können. Der Zuspruch der Bevölkerung und Sponsoren für das Projekt ist riesig und motiviert uns zusätzlich.»
Rund 1000 Interessierte hätten die Bergung am kommenden Mittwoch auf Zuschauerschiffen verfolgen wollen. Sie erhalten nun eine Rückerstattung für ihre bereits gekauften Tickets. Romanshorn hätte am Mittwoch so viel Aufmerksamkeit bekommen sollen wie noch nie in seiner Geschichte. Über 50 Medienschaffende aus der ganzen Schweiz, aus Deutschland, Österreich und Frankreich wollten dabei sein, wenn das vor über 90 Jahren versenkte Dampfschiff «Säntis» an die Wasseroberfläche geholt wird, darunter Kamerateams von SRF, ZDF, ORF und RTL.
Einst die Attraktion eines Abenteuerspielplatzes?
Zwar hat der Bergeverein anhand der Konstruktionspläne und der Aufnahmen der Unterwasserdrohnen Berechnungen angestellt und viele möglicherweise einwirkende Kräfte berechnet, doch sagte Ingenieur Paganini schon vor der Bergung: «Das Wrack ist eine Wundertüte. Wir haben zwar schon gründlich nach Rissen und Kompressionsschäden im Rumpf gesucht und die Stahlwände vermessen, aber alle Geheimnisse des Schiffes sehen wir unter Wasser nicht.»
Taucher können am Wrack nicht eingesetzt werden, da die «Säntis » mehr als 210 Meter unter der Wasseroberfläche liegt. Der Schiffsbergeverein setzt mehrere Tauchdrohnen ein. Zum Teil haben die Ingenieure die Unterwasserdrohnen selbst konstruiert und technisch aufgerüstet.
Ziel ist es, das Dampfschiff langfristig als nautisches Monument einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Wo es dereinst stehen wird, ist noch nicht bestimmt. Die Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt wäre sehr interessiert daran, dass die «Säntis» dereinst Teil eines Abenteuerspielplatzes in Romanshorn wird. Zuerst einmal müsste das Wrack aber konserviert werden, damit es nicht innerhalb kurzer Zeit zu Rost zerfällt.