Ein fetter oder ein «magersüchtiger» Spatz? Grosser Rat verabschiedet abgespecktes Energiegesetz
Es war eine Debatte der Essensmetaphern und Körpervergleiche. Das vorliegende Energiegesetz sei nicht nur schlank, sondern regelrecht «magersüchtig», sagte etwa GLP-Grossrätin Leandra Kern Knecht am Dienstagvormittag im Grossen Rat. «Sie haben einer weiteren Diät zugestimmt», kommentierte Grossratspräsidentin Mirjam Kosch trocken, nachdem sich das Parlament für eine weitere Abschwächung ausgesprochen hatte.
Und Mitte-Grossrat Ralf Bucher richtete sich an die Adresse der Grünen: «Sie träumen von der Taube auf dem Dach, dabei ist diese längst fortgeflogen. Sie haben nun den Spatz in der Hand – und dieser ist fett. So fett, dass sie schon fast wieder eine Taube ist.» Falsch, entgegnete Martin Brügger für die SP. Der Spatz sei nicht fett, sondern «magersüchtig».
Was ist es denn nun, das Energiegesetz: Ein fetter oder ein «magersüchtiger» Spatz?
Elektroboiler müssen nicht saniert werden
Während rund zwei Stunden debattierte das Aargauer Kantonsparlament übers Energiegesetz. Dabei lehnten die Bürgerlichen verschiedene Minderheitsanträge ab, die das Energiegesetz verschärft hätten: Ein Antrag verlangte etwa, dass Elektroboiler innert einer Frist von 15 Jahren saniert werden müssen. Das nun verabschiedete Gesetz sieht dies nicht mehr vor. Wird ein Boiler ersetzt, so muss dieser das Wasser nicht ausschliesslich elektrisch erwärmen. Insbesondere im Winter verbrauchen elektrische Boiler viel Strom.
Ein weiterer Minderheitsantrag verlangte beim Einbau neuer Heizungen einen Anteil von mindestens 20 Prozent erneuerbarer Energie. Auch diesen Vorschlag lehnte eine bürgerliche Mehrheit ab. Das verabschiedete Energiegesetz schreibt nun einen Anteil von 10 Prozent erneuerbarer Energie vor. Und auch die sogenannte Gebäudeautomation strich das Parlament. Dieser Paragraf hätte bei Neubauten ab einer gewissen Grösse Einrichtungen verlangt, die einen möglichst tiefen Energieverbrauch fördern würden.
Die GLP lehnt das Energiegesetz ab
Entsprechend verärgert gab sich die Ratslinke nach der Detaildebatte. Grünen-Grossrat Jonas Fricker eilte nach vorne und zählte einen Strauss an Massnahmen auf, die aus Sicht seiner Fraktion notwendig wären, um den Klimawandel nachhaltig zu bekämpfen. «Doch das Energiegesetz bringt nichts davon.» In einem anderen Votum stand Fricker mit den Händen vor den Augen am Rednerpult. Der Gesetzgeber sehe nicht hin, meinte Fricker.
Und auch die Grünliberalen ärgerten sich. Mit dem neuen Energiegesetz sende das Parlament ein einziges Signal aus, sagte GLP-Grossrat Gian von Planta: «Es ist weiterhin okay, mit Öl oder Gas zu heizen.»
Anders sah dies Ralf Bucher. «Wenn sie das Gesetz ablehnen, weil es zu wenig weit gehe, was gewinnen sie dann? Nichts», entgegnete der Mitte-Grossrat. «Wenn Sie mehr wollen, dann müssen Sie eine Initiative lancieren. Dass Aargauer Volk hat bislang aber noch konservativer abgestimmt als das Parlament.» Das Gesetz sei eine Verschärfung, sagte Bucher. Es bringe etwa eine forcierte Umstellung von fossilen auf erneuerbare Heizungen.
Dementsprechend fiel auch die Schlussabstimmung aus: Mitte, EVP, FDP und SVP stimmten dem Energiegesetz gemäss Vorschlag der Regierung zu. Anders die Ratslinke: Während die Grünliberalen das vorliegende Gesetz geschlossen ablehnten, enthielten sich einige Grüne oder stimmten dagegen. Und rund die Hälfte der SP-Fraktion stimmte dem neuen Energiegesetz zu. Die Grünen wollen kein Referendum ergreifen, wie die Partei in einer Medienmitteilung schreibt.
Zangengeburt Energiegesetz
Damit hat der Aargau endlich ein neues Energiegesetz. Es war eine Zangengeburt. Vor dreieinhalb Jahren lehnte das Aargauer Stimmvolk die damalige Version des Energiegesetzes hauchdünn ab: 0,89 Prozent aller Stimmen machten den Unterschied aus. Deshalb musste der Regierungsrat dem Parlament eine Neuauflage der Revision vorlegen. Bei der ersten Lesung der Vorlage im November war niemand wirklich zufrieden: SVP und Grüne lehnten sie ganz ab, den einen ging die Vorlage zu weit, den anderen nicht weit genug.
Für die einen ist das Resultat dieser Zangengeburt nun ein Spatz, der «magersüchtig» ist. Für die anderen ist er fett. Und die dritten, die dem Vogel die Diät verordnet haben, freuen sich still.