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Kinder sollten möglichst lange kein Handy haben

Von der Geburt an sind die Eltern die wichtigsten Bindungspersonen für ihren Sprössling. Deshalb kann der hohe Medienkonsum Erwachsener für den Nachwuchs negative Auswirkungen haben, schreibt unsere Autorin.

Ein Vater schaut im Bus auf sein Smartphone, während ihm sein Baby ein zermatschtes Brötli hinstreckt und seinen Blick sucht. Vergeblich. Ein kleines Kind quengelt im Restaurant, sofort zücken Mama und Papa ihr Handy. Stille kehrt ein, das Kind schaut behext auf das Gerät und versinkt in der digitalen Welt.

Die Digitalisierung verändert Kommunikationskulturen. Das hat positive Seiten: Alltag und Berufstätigkeit organisieren, mit Freunden vernetzt bleiben oder sich über Apps informieren. Doch der hohe Medienkonsum Erwachsener kann für den Nachwuchs negative Auswirkungen haben. Dies belegen inzwischen manche Studien.

Ab Geburt sind Väter und Mütter die wichtigsten Bindungspersonen für ihren Sprössling. Sie werden auch zu Vorbildern für den Erwerb des Wortschatzes und die Mediennutzung. Damit ein Baby eine sichere Bindung aufbauen kann, braucht es ihre präsente Verfügbarkeit. Einige Eltern interpretieren dies so, dass das Baby im Tragetuch ja in einem engen körperlichen Online-Modus sei. «Attachment Parenting» heisst dies in der Wissenschaft.

Attachment Parenting ist eine gute Sache, aber in dieser Hinsicht ein Trugschluss. Ein Kleinkind braucht die Nähe zu Mama und Papa nicht nur körperlich, sondern auch durch direkten Blickkontakt und Sprache. Wer auf dem Spaziergang trotz Tragetuch dauernd aufs Smartphone starrt, gibt dem Kind zu wenig Nahrung für seine fundamentalen Bedürfnisse. So erlebt es weder eine Bindungsbeziehung noch wird sein Wortschatz angeregt. Bevor Kleinkinder überhaupt sprechen können, müssen sie mindestens 46 Mal einen Begriff gehört und von den Lippen abgelesen haben, damit sie ihn in ihren Wortschatz aufnehmen können. Das ist Lernen durch Vorbild und Nachahmung.

Autorin Margrit Stamm.
Bild: Irene Infanger

Gleiches gilt für Erwachsene als Social-Media-Modelle. Unbewusst lernen die Kleinen, wie schwer es Mama und Papa fällt, das Gerät für eine kurze Zeit zur Seite zu legen. Sobald nichts läuft, greifen sie automatisch nach ihm. Dafür steht der Begriff «Phubbing». Gemeint ist damit die Angewohnheit, sich mit dem Handy zu beschäftigen, während die Menschen, mit denen man gerade gesellschaftlich verkehrt, vernachlässigt werden. Das Smartphone wird zum Suchtfaktor.

Was tun vor diesem Hintergrund? Zunächst einmal selbstkritisch erkennen können, dass das eigene digitale Verhalten die Entwicklung der Kinder beeinflusst. Ob man will oder nicht, Eltern – genauso andere Erwachsene – sind Modelle für die digitale Mediennutzung und sprachliche Entwicklung der Kinder.

Schon wenige Normen können das Smartphone als Babysitter in seiner Wirkung etwas entschärfen. Erstens sollen Kinder möglichst lange kein eigenes Handy haben. Wer seinem Kind ein Smartphone zum Schuleintritt schenkt, nimmt die Verantwortung nicht wahr. Doch ab der Adoleszenz garantiert seine Verbannung aus dem Alltag keine heile Welt. Junge Menschen werden zu Seismografen, wie sie sich wann, wie und wo Zugang zum Handy verschaffen können. Zweitens braucht jede verantwortungsvolle Medienerziehung klare Regeln. Etwa so: Niemand am familiären Esstisch, im Restaurant oder beim gemeinsamen Spielen nutzt das Gerät. Das gilt auch für beruflich stark engagierte Väter und Mütter, die genau in solchen Momenten einen Team Call erwarten. Auch Schulen sollen klare Normen und Regeln entwickeln – manche haben dies bereits getan.

Und schliesslich braucht es eine nationale Kampagne zur grundsätzlichen Mediennutzung. Politik und Medien stehen in der Pflicht, den problematischen Umgang mit dem Handy und die heikle Rolle von Elternhaus und Schule zum Thema zu machen. Aber nicht als Bashing! Ob sich hingegen ein nationales Handy-Verbot für unter Vierzehnjährige durchsetzen liesse, wie neuerdings gefordert wird, ist zu bezweifeln. Die Überprüfung des Alters der User würde Anbieter viel Geld kosten.

* Margrit Stamm: Die Autorin ist Erziehungswissenschafterin und emeritierte Professorin der Uni Freiburg