Hörsturz: Nach langem Suchen müssen Mediziner eingestehen, dass kein Medikament dagegen hilft
Plötzlich fühlt es sich an, als hätte man einen Pfropf im Ohr. Der Ton aus dem Fernseher klingt, als sässe der Lautsprecher unter Watte. Und dann noch dieser nervtötende Tinnitus. Wer schon mal einen Hörsturz hatte, wird den Moment nicht vergessen. Es sei denn, er gehört zu den rund 50 Prozent aller Fälle, in denen sich die Symptome innerhalb weniger Stunden oder Tage wieder von selbst erledigen. Ansonsten bleibt eigentlich nur die Hoffnung auf Selbstheilung. Denn die bisherigen Therapien taugen nicht viel, wie ein deutsches Forscherteam herausgefunden hat.
Die Wissenschaftler um Stefan Plontke von der Universität Halle haben 325 Hörsturz-Patienten aus Deutschland in drei Gruppe aufgeteilt. Eine von ihnen erhielt fünf Tage lang die Standardtherapie von 60 mg Prednisolon pro Tag, die anderen bekamen über den gleichen Zeitraum intravenös 250 mg Prednisolon oder aber 40 mg Dexamethason, das zehn Mal stärker wirkt. Zwei Infusionen also gegen eine Tablette, die nicht nur niedriger dosiert ist, sondern ihr Kortikoid auch auf den Umweg über den Verdauungstrakt schickt.
Nur Nebenwirkungen – keine gewollten Wirkungen
Es zeigten sich jedoch keine Unterschiede in Bezug auf die Hörsturzsymptome. Wohl aber bei den Nebenwirkungen. «Bei den höher dosierten Kortikoiden traten Nebenwirkungen wie etwa erhöhte Blutzuckerwerte oder eine Verschlechterung des Blutdrucks häufiger auf», betont Plontke. Und was dem HNO-Mediziner zu denken gibt: Es präsentierten sich gerade mal 40 Prozent mit einer vollständigen Erholung. Das ist nicht besser als die Spontanheilungsquote ohne Medikamente. Weswegen Plontke resümiert: «Obwohl Kortikoide seit 50 Jahren weltweit in der Hörsturztherapie zum Einsatz kommen, gibt es keine Beweise für ihre Wirksamkeit.»
Die Studie passt zu den Hiobsbotschaften, die sich in den letzten Jahren zur Therapie des Hörsturzes angesammelt haben, der allein in der Schweiz etwa 1600 Opfer pro Jahr findet. So beharrten Ärzte und Kliniken Jahrzehnte lang auf Infusionen und Tabletten zur Verbesserung der Durchblutung, weil sie glaubten, damit den spontanen Untergang der Sinneszellen im Innenohr stoppen zu können.
Diese These gilt mittlerweile als erledigt. Später setzte sich dann die Behandlung mit den Kortikoiden durch. Mit dem Ziel, die Entzündungen und Schwellungen im Innenohr zu lindern. Doch der Leiter der Halleschen Uni-Klinik für HNO-Heilkunde betont: «Aktuell gibt es kein Medikament, das spezifisch für die Hörsturztherapie zugelassen ist.»
Dass sich die Pharmazie am Hörsturz die Zähne ausbeisst, liegt nicht zuletzt daran, dass, sofern er nicht durch Lärm ausgelöst wird, über seine Ursachen immer noch viel spekuliert wird. Denn das Innenohr mit seinem komplexen Sinnesapparat ist eine Black box.
Nun hat ein Forscherteam um Maoli Duan vom schwedischen Karolinska Institute mehr als ein Dutzend Faktoren herausgearbeitet, die als Mitauslöser in Frage kommen. Die Liste reicht von Bluthochdruck und erhöhten Cholesterinspiegeln über Diabetes und eine hyperaktive Schilddrüse bis zur Autoimmunerkrankung, bei der sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet. Möglich also, dass die Hörsinneszellen vom eigenen Immunsystem «abgeschossen» werden. Einige Betroffene erzählen, dass ihr Ohr nach einer heftigen allergischen Reaktion in die Knie gegangen wäre, etwa infolge eines Bienenstiches.
Haben auch hier Viren ihre Finger im Spiel?
Auch Virusinfektionen werden in letzter Zeit öfter als potenzielle Ursache genannt. Unter ihnen COVID-19, weil es wohl neben den Geschmacks- und Geruchsnerven auch die akustischen Leitungsbahnen befallen kann.
Der Verdacht jedoch, dass auch die entsprechenden mRNA-Impfungen in den Hörsturz führen könnten, liess sich nicht erhärten. Wissenschaftler der Tampere University fanden in einer Erhebung an 5,5 Millionen Finnen «keine Hinweise darauf, dass die Hörsturzzahlen nach Einführung der COVID-19-Impfungen nach oben gegangen sind».
Immerhin gibt es positive Meldungen für eine nicht-medikamentöse Behandlung des Hörsturzes: die Hyperbare Sauerstofftherapie. Kanadische und koreanische Forscher haben kürzlich – unabhängig voneinander – die wissenschaftlichen Datenlage zu diesem Verfahren analysiert, mit dem Ergebnis, dass es gerade Hörverluste im höheren Frequenzbereich eindämmen kann.
Der Patient setzt sich dabei in eine Überdruckkammer, um den Sauerstoffgehalt im Blutplasma und damit die Sauerstoffversorgung der Hörsinneszellen zu erhöhen. Doch die Zentren für diese aufwändige Therapie stehen hierzulande nicht flächendeckend zur Verfügung. Ganz zu schweigen davon, dass man mehrere Sitzungen in der Überdruckkammer hinter sich bringen und entsprechend mit Kosten von einigen Tausend Franken rechnen muss, ohne dass die gesetzlichen Krankenkassen beim Hörsturz dafür aufkommen würden.
Den meisten Patienten bleibt daher in der Regel nur, sich mit ihrem Hörverlust zu arrangieren und zu beobachten, wie er sich im weiteren Verlauf entwickelt und ob man mit einem Hörgerät gegensteuern muss. Denn Hörstürze können sich wiederholen, und der altersbedingte Verlust der Hörfähigkeit kommt ja auch noch hinzu.