«Das war zu hundert Prozent menschliches Versagen» – Bobfahrer Sandro Michel zu seinem schweren Unfall und wie es ihm heute geht
Gebrochene Rippen, Lungenblutung, abgerissene Muskeln im Brustkorbbereich, Hüfte ausgekugelt, Oberschenkelknochen sichtbar: Die Verletzungen nach dem Sturz waren gravierend. Den Umständen entsprechend «okay» gehe es ihm heute, erklärt Michel im TalkTäglich.
Er kämpft sich noch immer zurück zu einem normalen Leben. Den Rollstuhl braucht er seit rund drei Wochen zwar nicht mehr, Krücken hingegen noch immer. Und die Freundin muss teilweise als «Pflegerin» aushelfen. Einfache Dinge, wie die Schuhe zuzubinden, seien ein Kraftakt.
15 Kilo an Körpermasse hat er verloren. Kein Wunder, war er doch wochenlang zum Rumliegen verdammt. Der erste Blick in den Spiegel war deshalb nicht nur der vielen Narben wegen ungewöhnlich.
Vom Unfall weiss der 27-Jährige nicht mehr viel. Dass er aus dem Bob gestürzt und dann bewusstlos auf der Bahn liegend von diesem nochmals erfasst wurde, erfuhr er aus Erzählungen. «Das letzte was ich noch weiss, ist unser gemeinsames Einlaufen», sagt Michel. Auch die Woche auf der Intensivstation in Dresden ist aus seiner Erinnerung nahezu ausgelöscht. Drei Mal wurde er dort operiert. «Da war ich vollgepumpt mit Schmerzmitteln.» Die ersten richtigen Erinnerungen von nach dem Unfall sind erst diejenigen von der Reise nach Aarau, wo er ein viertes Mal operiert wurde.
Harsche Kritik an den Organisatoren
Es war ein Unfall, der nicht hätte passieren sollen und nicht hätte passieren müssen. «Das war zu hundert Prozent menschliches Versagen», ist Michel überzeugt. Denn es gab am Morgen des selben Tages schon einen Sturz. Auch da lag ein Anschieber bewusstlos in der Bahn. Es wurde aber nichts geändert und man hat alles weiterlaufen lassen. «Die einzigen, die an diesem Tag gut gearbeitet haben, waren die Leute von der Rettung.»
Und dennoch: Weder von den Verantwortlichen der Bobbahn noch vom internationalen Bobverband hörte er je so etwas wie ein «Sorry» oder auch nur eine Nachfrage. «Schon sehr schwach», findet der Aargauer Sportler. Ob die Geschehnisse juristisch noch ein Nachspiel haben, ist offen. Vorerst scheint der Fall aber erledigt. Es wurde in einer Untersuchung kein menschliches Versagen nachgewiesen. «Anscheinend wurde ich in Dresden auch befragt», so Michel. «Davon weiss ich aber nichts mehr.»
Aktuell ist Sandro Michel noch fünf Mal in der Woche in der Reha Bellikon. Dort spricht er auch mit einem Psychologen, um den Unfall zu verarbeiten. Und auch wenn die Folgen ihn bis heute fordern: Er will alles probieren, um wieder Bob fahren zu können. Noch sei vieles offen. Grundsätzlich plagen ihn aber keine Ängste vor dem Bob. Auch dem Piloten Michael Vogt macht er keine Vorwürfe. «Stürze passieren, das gehört zum Bobsport dazu», ist er überzeugt. Nur in Altenberg würde er, ohne grundlegende Änderungen an der Sicherheit, bestimmt nicht mehr fahren.