Willy Loretan im zt Talk: «Ich habe immer nach dem Grundsatz gelebt: Servir et disparaître»
Zum Interviewtermin mit dem ZT lässt sich Willy Loretan vergangenen Dienstag mit dem Taxi chauffieren – seine «Gehwerkzeuge» seien sein Handicap, meint er. Mental ist er – wie sich im Talk zeigen wird – konzis und fit wie eh und je.
Welche Bedeutung hat für ihn die Schwelle des 90. Geburtstages? «Es ist die wichtigere Schwelle als beim 80., und die noch wichtigere als beim 70. Geburtstag», sagt der Jubilar. «Ich bin sehr glücklich, dass ich dieses hohe Alter gesund und munter erreichen kann.» Für seine Gesundheit hat er immer einiges getan: «Ich hielt mich körperlich fit – mit Joggen, Langlauf, Wandern und Hochtouren in Saas Fee.» Jeden Tag liest er drei Zeitungen: das ZT natürlich, die «NZZ», den «Walliser Boten», auch das Wochenblatt «The Economist» hat er abonniert.
Die aktuelle Diskussion um die Aufrüstung der Armee verfolgt er deshalb intensiv. «Adolf Ogi hat mir einmal in seinem Büro unter vier Augen gesagt: ‹Hör mir auf mit der Armee 95 (Organisation der Armee von 1995 bis 2003, die Red.)! Meine Armee ist die Armee XXI (grosses Reformprojekt, die Red.).›» Bestände, Strukturen und Material seien abgebaut, die «Drückebergerei» sei ermöglicht worden. «Deshalb fehlt es nicht nur an Rüstung, sondern auch an Personal.» Das Motto müsse lauten: «Si vis pacem para bellum – wenn Du Frieden willst, bereite den Krieg vor.» In sicherheitspolitischer Hinsicht müsse die Armee punkto Finanzen absolute Priorität haben – ohne Umgehung der Schuldenbremse, fordert Loretan. Sparmöglichkeiten gebe es genug, beispielsweise in der Entwicklungshilfe oder in der üppig wuchernden Bundesbürokratie.
Das Polit-Geschäft habe sich seit seiner aktiven Zeit massiv verändert, stellt er fest. «Zu meiner Zeit gab es weder Handys noch Social Media – man war nicht 24 Stunden am Tag unter Druck und musste jederzeit erreichbar sein. Man musste nicht zu jeder Zeit irgendetwas zu einem Thema sagen, weil es der Journalist gerade wissen will. Die Hektik ist enorm. Das möchte ich nicht erleben.»
Auf seine Nach-Nach-Nachfolgerin Christiane Guyer – Loretan war von 1974 bis 1992 Stadtammann von Zofingen – angesprochen, sagt er: «Eine heikle Frage. Ich habe immer nach dem Grundsatz gelebt: Servir et disparaître – dienen und abtreten. Dass drei ehemalige Bundesräte einen Brief zur AHV-Abstimmung verfasst haben, habe ich gar nicht geschätzt. Das habe ich ihnen auch geschrieben. Über meine Nachfolger – den verstorbenen Urs Locher, Hans-Ruedi Hottiger und Christiane Guyer – mich zu äussern, steht mir nicht zu. Die Problemstellungen heute sind anders, wir haben eine andere Zeit. Es wäre vermessen, wenn ich Qualifikationen abgeben würde. Mir scheint wichtig, dass ein Stadtpräsident oder eine Stadtpräsidentin zentral führt und den ganzen Laden im Griff hat – ohne Verzettelung.»
Ein grosser Staatsdiener
Willy Loretan wurde am 15. Juni 1934 in Basel als Sohn eines Postbeamten geboren. 1941 zügelte seine Familie von Naters VS nach Zofingen, wo er die Schulen besuchte. Nach der Maturität an der Alten Kantonsschule Aarau studierte er von 1955 bis 1961 Recht an den Universitäten Lausanne und Zürich. Später – 1982 – wurde er Ehrenzofinger und damit, obwohl nicht aktiv, Mitglied der Studentenverbindung Zofingia.
1961 doktorierte er und arbeitete danach als Gerichtsschreiber am Bezirksgericht Zofingen. 1964 erhielt Loretan das Rechtsanwaltspatent und wechselte zur aargauischen Kantonsverwaltung, wo er im Baudepartement als juristischer Adjunkt tätig war. Von 1966 bis 1973 präsidierte er das Zofinger Bezirksgericht.
1966 wurde er Mitglied des Zofinger Einwohnerrats, den er 1972 und 1973 präsidierte. Von 1969 bis 1981 gehörte er dem Grossen Rat des Kantons Aargau an, wo er Fraktionspräsident der FDP war. Von 1974 bis 1992 war er Stadtammann von Zofingen. 1979 wurde er in den Nationalrat gewählt, 1991 folgte die Wahl in den Ständerat, dem er zwei Legislaturen angehörte. Loretan war 1982 bis 1992 auch Präsident der Schweizerischen Stiftung für Landschaftsschutz und von 1996 bis 2001 Präsident des Schweizerischen Zivilschutzverbandes.
Er war mit Annemarie Loretan-Wirz verheiratet, die 2014 verstarb. Er ist Vater von zwei Kindern und hat vier Enkelkinder. Er wohnt an der Pfistergasse in der Altstadt von Zofingen.