Nach Riesen-Überschuss: Bürgerliche wollen Steuersenkungen für Mittelstand
Es war die erste sommerliche Grossratssitzung des Jahres. Die Türen blieben geöffnet, Grossratspräsidentin Mirjam Kosch erlaubte Tenue-Erleichterungen, und im Ratssaal wurde es nicht nur der Diskussionen wegen immer heisser. Wie jedes Jahr im Juni stand die Rechnung des Kantons auf der Traktandenliste. Diese schloss 2023 mit einem Überschuss von knapp 120 Millionen Franken, obwohl ein Defizit über 296,5 Franken budgetiert war.
Mit diesem Ergebnis waren fast alle zufrieden. Dass es ohne Gewinnausschüttungen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und ohne Entnahme aus der Ausgleichsreserve zustande gekommen ist, nehme seine Fraktion mit Genugtuung zur Kenntnis, bemerkte Bernhard Scholl für die FDP. «Diesen erfolgreichen Kurs liberaler Finanzpolitik wollen wir langfristig fortführen», sagte er. Aber: So erfreulich der Überschuss für die Kantonsfinanzen sei, so schwierig sei er aus politischer Sicht. Eine derart pessimistische Budgetierung sollte es, geht es nach der FDP, nicht mehr geben.
Bürgerliche: Jetzt Mittelstand entlasten
Überschüsse seien zudem nicht dafür da, die Staatsreserve zu äufnen, so Scholl. Jetzt müsse man den Mittelstand steuerlich entlasten und den Investitionsstau beheben. Nun sei es an der Zeit, der Bevölkerung entgegenzukommen, meinte auch Markus Lüthy für die SVP-Fraktion. Die Einwohnerinnen und Einwohner seien mit höheren Kosten im Gesundheitswesen und steigenden Preisen schon genug belastet. «Wenn sie nicht auch noch höhere Steuern zahlen müssen, sind sie dankbar», so Lüthy.
Alles sei nicht voraussehbar, warnte für die GLP Matthias Betsche. Der Überschuss soll in die Ausgleichsreserve, wie vom Regierungsrat beantragt, fand seine Fraktion. Künftige Defizite seien damit auszugleichen. Dass es bereits bald wieder rote Zahlen geben könnte, finden die Grünliberalen im Gegensatz zu den Freisinnigen realistisch. Man müsse zwar die Prognosen überprüfen, dies aber umsichtig. Denn: Die Kantonsfinanzen seien in hohem Masse von Sondereffekten geprägt. Sie seien also fragil. «Vorsorgen ist besser als heilen», sagte dazu auch Uriel Seibert für die EVP-Fraktion. Man dürfe den Abschluss 2023 nicht als Prognose für die nächsten Jahre nehmen.
Grüne waren entsetzt und konsterniert
Eher Entsetzen als Freude löste der Überschuss in der Kantonsrechnung bei den Grünen aus, zeuge er doch von mangelnden Investitionen, sagte Robert Obrist für die Fraktion. Ausserdem habe man Fragen zum Budgetprozess, derartig grosse Abweichungen zur Realität verunmöglichten eine Einschätzung der effektiven finanziellen Situation. Auch konsterniert waren die Grünen. Dies, weil der vorgesehene Kantonsbeitrag für die Prämienverbilligungen nicht ausgeschöpft worden ist. Dennoch, auch die Grünen nahmen den Jahresbericht mit der Jahresrechnung an, «wir nehmen ihn gezwungenermassen zur Kenntnis», so Obrist.
Mit der FDP ging punkto Investitionsstau auch die SP einig. Hanspeter Hubmann warnte zudem für seine Fraktion davor, beim Personal zu sparen, der Aargau müsse ein attraktiver Arbeitgeber bleiben. «Wir halten es für wichtiger, dem Personal Sorge zu tragen, als Steuergeschenke zu machen», so Hubmann.
Die Überschüsse der letzten Jahre seien nachhaltig eingesetzt worden, meinte schliesslich Finanzdirektor Markus Dieth. Dass der Aargau jetzt schuldenfrei sei, trage massgeblich zur Stabilität des Kantons bei.
Mittagessen unter den Linden
Der Grosse Rat nahm Jahresbericht und Jahresrechnung einstimmig an. Just rechtzeitig zum Mittagessen im Garten des Hauses am Schlossgarten war die Diskussion darüber beendet. Der Aarauer Stadtrat lud Parlament und Regierungsrat zum Lunch ein, so ist es Tradition. Das warme Wetter zum Anlass ebenfalls – unter den Linden im Garten war das aber deutlich angenehmer als im heissen Grossratssaal. Dort ging es am Nachmittag mit Diskussionen über das Prämiendekret und eine Erhöhung der Kinderzulagen weiter.