Teufelsaustreibung bis zum Tod: Autor verarbeitet Sekten-Gräueltat zu Roman gegen Fanatismus
Es war eine Tat, die an Wahn und Brutalität unvorstellbar ist.Der Mord an der 17-jährigen Bernadette Hasler aus Hellikon schreckte im Frühjahr 1966 die internationale Öffentlichkeit auf.Die junge Frau war bei einer Teufelsaustreibung von sechs Mitgliedern einer Sekte in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai im Zürcher Oberland in einem Ferienhaus zu Tode geprügelt worden.
Fünf Tage nach der Tat berichtete etwa der «Zürcher Oberländer»: «Die Leiche wies an diversen Körperteilen, so auch am Gesäss und an den Genitalien, schwere Verletzungen auf, die von stumpfen Instrumenten stammen mussten.»
Bereits zuvor hatte die Polizei an einer Pressekonferenz in Zürich Details zu den Todesumständen und den Tätern genannt. Bald berichtete auch die internationale Presse über die Tat. Die Öffentlichkeit erfuhr so, dass Bernadette Hasler nach einer Teufelsaustreibung durch eine unter dem Deckmantel des Katholizismus operierenden Sekte ums Leben gekommen war.
Der «heilige Vater» und die «heilige Mutter»
«Internationale Familiengemeinschaft zur Förderung des Friedens», taufte der exkommunizierte Pater Josef Stocker – genannt: der «heilige Vater» – die Sekte. Er gründete sie zusammen mit seiner Assistentin Magdalena Kohler – genannt: die «heilige Mutter» – in Singen (D). Als Hauptverantwortliche wurden Kohler und Stocker zu je zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.
Der 56-jährige Autor Stephan Rey aus Aarau hat in seinem vierten Buch «Warum?» nach intensiver Recherche das Schicksal von Bernadette Hasler aufgeschrieben und zu einem Roman verarbeitet. «Es ist die wahre Geschichte der letzten Teufelsaustreibung der Schweiz mit Todesfolge», sagt er.
Rey, der als Psychiatriepfleger arbeitet, kam auf die Geschichte, als ihm eine Klientin im Wirrwarr vom Fall erzählte und den Ort Hellikon erwähnte. «Meine Grossmutter stammt aus Hellikon und wusste über das Geschehen Bescheid. Das hat mein Interesse geweckt», sagt er. In einem Bauernhaus in Hellikon blieb der Hauptsitz der Sekte jahrelang im Untergrund verborgen.
Die Brutalität der Ermordung von Bernadette Hasler sei schlimm gewesen. Doch schockiert habe ihn noch mehr die Frage, warum Bernadettes Vater seine Tochter nicht aus den Händen der Sekte befreit habe. «Kohler terrorisierte den Vater so lange, bis er in grosser Angst vor dem Teufel nachgab und die fatale Entscheidung traf, seine Tochter dort zu lassen», sagt Rey.
Rohe Gewalt aus Wahn als gemeinsamer Nenner
Rey verbindet die wahre Geschichte über die Sekte und Bernadette Hasler mit der fiktiven von Anne Rosenthal, die den Holocaust in Nazi-Deutschland überlebt, nach Israel auswandert und hochbetagt den Überfall der Hamas im Oktober 2023 und den darauffolgenden Krieg im Gaza-Streifen miterlebt. «Die Angriffe der Hamas, die Teufelsaustreibung – beides steht für rohe Gewalt, die aus einem Wahn entstanden ist», sagt er.
Rey lässt die fiktive Rosenthal mit Sektenführer Stocker im Jerusalem der 1950er-Jahre aufeinandertreffen. «Rosenthal und Stocker bleiben in der Geschichte immer in Kontakt – bis Rosenthal in den Ferien in Davos von der Teufelsaustreibung von Bernadette Hasler erfährt», erzählt Rey. Die beiden ineinander verschränkten Erzählungen illustrierten auf vielfältige Weise das Leben von Menschen unter den gefährlichen Bedingungen von religiösem Wahn und staatlicher Gewalt.
Die Hauptbotschaft des Romans: «Es ist gefährlich, dem Fanatismus blind zu folgen. Egal, ob es sich um Religion, Politik oder gesellschaftliche Bewegungen handelt – und egal, ob der Fanatismus links oder rechts des Spektrums steht», so Rey.