Dank absurder US-Politik: Eine blutige Superhelden-Serie kommt der Realität ganz schön nah
«The Boys» spielt in einer Welt, in der Superhelden längst nicht nur die Guten sind. In einer, in der Superman nicht von liebevollen Eltern auf einer Farm grossgezogen wurde, sondern von sadistischen Wissenschaftlern in einem Labor gezüchtet wurde und nun von einer skrupellosen PR-Firma gemanagt wird. Ein bisschen so, wie wenn die Kardashians fliegen und Laser aus ihren Augen schiessen könnten.
Sie vollbringen keine Heldentaten, es geht nur um Image und Geld. Und manchmal geraten halt unschuldige Passanten mehr oder weniger versehentlich unter die sehr blutigen Räder. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre «The Boys» unterhaltsame Satire gewesen. Das war es lange auch.
Die Serie war schon immer vom echten Leben inspiriert. Seien es die bescheuerten «Fox News»-Moderatoren oder Firmen, die aus reinen Marketinggründen die LGBTQ+-Community unterstützen. Und auch der böse Superman, Homelander heisst er, hat ein Vorbild aus dem echten Leben.
Er ist ein absoluter Narzisst, ohne Mitgefühl oder Moral, für den nur Loyalität zählt. Und seine Fans verehren ihn dermassen, dass sie ihm jedes Verbrechen verzeihen. Sie applaudieren sogar, wenn er jemandem auf offener Strasse den Schädel weglasert. Denn sie wollen, dass Amerika «wieder super» wird.
Homelander ist eine Analogie für Trump. Das war nie subtil, doch die Showmacher mussten trotzdem klar und deutlich sagen: Er ist der Bösewicht, und wer das anders sehe, sollte sich in Therapie begeben. Denn manche Zuschauer hypten ihn zum tragischen Antihelden. Ähnlich wie sein Vorbild im echten Leben. Doch jetzt verschwimmen Fiktion und Realität mehr als jemals zuvor.
Achtung, Spoiler! Am Ende der gerade erschienenen 4. Staffel schafft Homelander es bis an die Spitze der US-Politik. Dank einer Orgie von Lügen, Falschinformationen – und einer superintelligenten Superheldin, die im Hintergrund alles geplant hat. Im echten Leben gibt es zwar keine Superheldin, dafür «Project 2025». Und es klingt fast absurder.
Beim ersten Mal rechnete kaum jemand mit Trumps Sieg, und in den ersten Wochen ging es intern chaotisch zu und her. Diesmal gibt es quasi eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, in der auf 900 Seiten vorgezeigt wird, wie eine konservative Regierung «unsere Kinder retten, unsere Kultur zurückgewinnen, die Wirtschaft wiederbeleben und die antiamerikanischen Linken im In- und Ausland besiegen kann.» So steht es zumindest auf Seite 2.
«Project 2025» stammt nicht aus Trumps Feder – und nachdem die Öffentlichkeit immer mehr Wind davon bekommen hatte, versuchte er sich davon zu distanzieren. Doch über 100 seiner ehemaligen Berater haben sich dafür mit fast genauso vielen konservativen Organisationen zusammengeschlossen. Das Ergebnis durchzulesen, ist anstrengend, es ist voller politischer Fachausdrücke und gespickt mit dem ein oder anderen relativ vernünftigen Argument – und trotzdem absolut haarsträubend.
Dem Justizministerium sollen die Mittel gekürzt und es soll direkt dem Präsidenten unterstellt werden. (Seite 559)
Die Nationale Ozean- und Atmosphärenbehörde soll aufgelöst werden, weil sie «einer der wichtigsten treibenden Kräfte der Klimawandel-Alarmindustrie» sei. (Seite 675)
Beamte in Bundesbehörden sollen durch Angestellte «mit politikbefürwortendem Charakter» ersetzt werden. (Seite 32 und Seite 80)
So auch im Gesundheitsministerium, womit die Zulassungen für Medikamente rückgängig gemacht werden könnten. Das würde auch solche für Abtreibungen beinhalten, womit diese ganz ohne explizites Verbot praktisch national abgeschafft würden. (Seite 458)
Ganz allgemein wird das Thema Abtreibung recht oft erwähnt. Beispielsweise soll eine «Pro Life»-Taskforce das Leben von ungeborenen Kindern promoten. Abtreibungskliniken sollen die Mittel gekürzt werden. Und wenn sie medizinisch nötig sind, sollen alle Staaten jede einzelne Abtreibung detailliert melden. (Seite 455, 471 und 489)
Der Zugang zu Verhütungsmitteln und die Aufklärung darüber sollen eingeschränkt werden. (Seite 485)
Das Bildungsministerium soll abgeschafft werden, weil es eine kulturelle Revolution unterstütze, in der Schüler auf Wokeness getrimmt würden. (Seite 4, 8 und 319)
Kinderbetreuung und die Beantragung von Sozialleistungen für Alleinerziehende sollen erschwert werden, um das «traditionelle» Familienideal zu retten. (Seiten 482, 489) Im Klartext: Frauen sollen nicht Karriere machen, sondern sich daheim um ihre Kinder kümmern.
All das soll Trumps Macht als Präsident vom ersten Tag an so weit wie möglich ausweiten, ohne dass die Zustimmung des Kongresses benötigt wird. Er hätte praktisch bei allem das letzte Wort und könnte überall sein Veto einlegen. Wie Homelander schon sagt: «Neue Welt, neue Regeln.»
Zugegeben, es klingt wie eine wilde Verschwörungstheorie oder pure Schwarzmalerei. Andererseits hätte sich auch niemand vorstellen können, dass der Oberste Gerichtshof der USA einem Präsidenten volle Immunität gibt und ihn so praktisch zum König macht.
Nicht nur bei den Demokraten schrillen die Alarmglocken, sondern durch das ganze politische Spektrum. Trotzdem glauben viele, dass es «nicht so schlimm» wird oder sowieso eine Lüge der Linken sei, die Trump verunglimpfen wollen.
Abgesehen von «The Boys» kommt mir noch eine andere fiktive Serie in den Sinn, die beunruhigend nah an der Realität ist. Auch in «Handmaid’s Tale» kamen die Veränderungen schleichend, bis am Ende eine religiöse Diktatur herrschte, in der Frauen als Gebärmaschinen herhalten müssen und wer anderer Meinung ist, exekutiert wird.
Ob es so weit kommt? Keine Ahnung. Aber am Ende der 4. Staffel sagt einer der Superhelden: «Schnall dich an für Phase 2.» Und ich frage mich, wie die Welt wohl aussieht, wenn die letzte Staffel in zwei Jahren erscheint.