11-Jährige als Attraktionen im Kinderzirkus Skateboard – wie jung sollen Olympia-Teilnehmende sein?
Andere in ihrem Alter machen mit ihren Eltern gerade Strandferien. Coco Yoshizawa, 14, Liz Akama, 15, und Rayssa Leal, 16, standen auf dem Place de la Concorde in Paris auf dem Podest der Olympischen Spiele, vor ihnen 30’000 Menschen. Mit Gold, Silber und Bronze um den Hals, gewonnen im Skateboard, Disziplin Street. Ziemlich ähnlich ist das Bild am Dienstag in der Disziplin Park. Es gewinnt Alisa Trew, 14, vor Cocona Hiraki, 15, und Sky Brown, 16. Der Skatepark als Manege eines Kinderzirkuses.
Ein Mindestalter gibt es nicht, das Internationale Olympische Komitee (IOC) überlässt es den Sportfachverbänden, Alterslimiten festzulegen. Im Turnen beispielsweise kann man erst ab dem 16. Geburtstag antreten, im Boxen muss man 19 Jahre alt sein. Im Skateboard gibt es keine Vorgaben.
2021 in Tokio war der Sport erstmals im Programm. Damals war die erste Olympiasiegerin noch jünger als die Japanerin Yoshizawa. Ihre Landsfrau Mimiji Nishiya war damals erst 13-jährig. Im Skateboarden ist das völlig normal. Weder in der Disziplin Park noch in der Disziplin Street waren in Paris die je acht Finalistinnen älter als 20-jährig. Der Altersschnitt lag bei 16 Jahren. Auch die Jüngste unter 10’000 Athletinnen und Athleten trat im Skateboard an. Die Chinesin Zheng Haohao ist gerade einmal elf Jahre alt.
«Jugend ist eine instabile Phase»
Auch in anderen Sportarten treten Kinder an. Die indische Schwimmerin Dhindhi Desinghu ist elf, die Turnerin Hezly Rivera und der 400-Meter-Läufer Qunicy Wilson, beide aus den USA, sind 16 Jahre alt. Das wirft ein Schlaglicht auf die Frage: Wie jung sollen Olympia-Teilnehmende sein?
Zu solchen Fragen berät der Sportwissenschafter Michael Bergeron das IOC. Er sagt: «Physisch, physiologisch, kognitiv und psychosozial ist die Jugend eine sehr instabile Phase.» Wenn sich Kinder auch noch in einem hoch kompetitiven Umfeld wie dem Leistungssport bewegen, stelle sich die Frage, wie man das erfolgreich bewältigen könne, sagt Bergeron.
Kürzlich leitete er eine Studie über junge Menschen im Leistungssport, die Ergebnisse sollen im Verlauf des Jahres veröffentlicht werden. Die Studie zielte darauf ab, einerseits die körperliche und geistige Entwicklung der Heranwachsenden zu berücksichtigen und andererseits Elemente zu beeinflussen, die veränderbar sind, zum Beispiel die Trainingsintensität.
Wachstum als Störfaktor
Problematisch könne zu intensives körperliches Training sein, weil sich viele noch im Wachstum befänden. Manche hätten mit 16 ihre endgültige Körpergrösse erreicht, andere erst mit 21. Doch eine voll entwickelte Statur sei nicht gleichbedeutend mit einem voll ausgewachsenen Knochenbau.
Entscheidend seien die sogenannten Apophysen. Dabei handelt es sich um einen knöchernen Fortsatz, der als Ansatzstelle für Sehnen, Muskeln und Bänder dient und die Kraftübertragung von den Muskeln auf das Skelett verbessert. Während des Wachstums sind diese Stellen empfindlicher. Bei einer Überbelastung kann sich der Knochen entzünden, was Schmerzen verursacht. Selbst bei Frühentwicklern seien die Apophysen erst im Alter von 21 Jahren ausgewachsen, weshalb im Training Vorsicht geboten sei.
Soziale Medien als Brandbeschleuniger?
Die körperliche Entwicklung ist das eine, die Auswirkungen auf die Psyche der Kinder das andere. Studien zeigen, dass Sportler im Erwachsenenalter nicht weniger von psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen betroffen sind als der Rest der Gesellschaft. Allerdings liessen sich in einigen Sportarten bei jungen Aktiven mehr Essstörungen oder eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers beobachten.
Coco Yoshizawa, Liz Akama und Rayssa Leal gehören zudem zu einer Generation, die Youtube, Tiktok, Snapchat, Instagram und Facebook nicht als Parallelwelt, sondern als Teil ihrer Lebensrealität begreift. Und obschon die Studienlage dazu nach wie vor dünn ist, stehen soziale Medien im Ruf, schädlich für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu sein.
Phelps war bei Premiere 15
Mit 23 Goldmedaillen ist Michael Phelps der erfolgreichste Olympionike der Geschichte, erstmals nahm er als 15-Jähriger an Spielen teil. Zur Frage, was er davon halte, dass Kinder bei Olympischen Spielen antreten, sagt der frühere Schwimmer: «Es ist schwierig zu sagen, ob das gut ist oder nicht. Aber diese Kinder haben Leidenschaft für das, was sie tun. Und wenn sie gut genug sind, um hier antreten zu können, weshalb nicht?»
Zurückhaltender äussert sich Ralph Stöckli. «Ich persönlich sehe es kritisch, wenn so junge Athletinnen und Athleten bereits auf höchster Ebene bei grossen Wettkämpfen antreten», sagt der Schweizer Chef de Mission. «Mir scheint der Druck und die Last zu gross, in diesem Alter auf dieser Bühne und in diesem Scheinwerferlicht ein ganzes Land zu vertreten.» Er plädiert deshalb für die Einführung eines Mindestalters.