Kamala Harris als Studienfach – und jede Menge kritischer Fragen bleiben offen
Als Joe Biden seinen Rückzug aus dem Rennen um die US-Präsidentschaft verkündet hat, stand ich in einer rappelvollen U-Bahn in Boston. Die Meldung ploppte auf den allermeisten Smartphones auf und war innerhalb von SekundendasThema im Waggon.
Ich lebe in Boston und studiere an der Universität von Harvard Politik. Normalerweise geht es sehr analytisch zu und her: Umfragewerte von politischen Akteuren innerhalb demografischer Gruppen, Vergleiche von Programmen und Ähnliches. Doch letzte Woche haben wir Kamala Harris auf ihren «Brat»-Faktor hin untersucht; dies bei einem Professor, der ausserhalb des Campus die höchsten politischen Ebenen der Demokratischen Partei mitberät.
«Brat» bedeutet umgangssprachlich, dass eine Frau unbekümmert ist, sagt, was sie sagen will, und ist, wer sie sein will – egal was andere davon halten. Seit die Musikerin Charlie XCX twitterte: «kamala is brat», nutzt Harris’ Wahlkampfteam dies für Videos auf Social Media, um die Kandidatin als starken Kontrast zu Donald Trump zu zeigen: jung, lässig, nahbar.
Zudem ist sie als dunkelhäutige Frau mit jamaikanischen und indischen Wurzeln eine erfrischende Abwechslung für viele Menschen in einem ethnisch diversen Land, das ansonsten noch immer vor allem von weissen alten Männern dominiert wird. Dieses Profil kommt hier bei jungen und progressiven Menschen – vor allem bei jungen Frauen – an. Die jüngere Schwester meiner Freundin schickt mir fleissig Videos von und mit Kamala Harris, obwohl sie sich nicht wirklich für Politik interessiert.
Während Kamala Harris in vielen liberalen Blasen auf Social Media tanzt, gibt es auch verhaltenere Stimmen. Ein guter Freund von mir arbeitet bei Homeland Security in Washington D. C. Ihn interessiert weniger, wie cool Harris ist, sondern welche konkreten Änderungen sie in Bezug auf die Aussenpolitik, die nationale Sicherheit und die zunehmende Radikalisierung innerhalb des Landes vornehmen möchte.
Bisher hat sie sich zu diesen handfesten politischen Themen noch nicht geäussert. Während ihrer Zeit als Vizepräsidentin ist sie insgesamt eher unsichtbar gewesen.
Im Frühling war der Gaza-Krieg ein grosses Thema auf dem Uni-Campus, und es gab einige Pro-Palästina-Proteste, die für Schlagzeilen im ganzen Land und darüber hinaus gesorgt haben. Viele aus meinem Umfeld haben spätestens seit Bidens Reaktion darauf ihr Vertrauen in den Präsidenten verloren.
Auch hier hat Kamala Harris noch nicht gross Stellung dazu genommen, ob sie den bisherigen Kurs weiterverfolgen möchte oder nicht. Bevor Biden sich aus dem Rennen zurückgezogen hat, hätten zwar meine amerikanischen Freunde immer noch für die Demokraten gestimmt – doch vor allem aus dem Grund, um Donald Trump als Präsidenten zu vermeiden.
Nachdem Harris’ Kampagne nun langsam Fahrt aufgenommen hat, wird es spannend sein zu sehen, ob sie bei jungen, liberalen Menschen auch durch politische Inhalte Begeisterung entfachen kann.