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Fluchtgedanken am Bahnhof

Zum Bsetzistei «Verstehen Sie ­Bahnhof?» von Oliver Schweizer. Ausgabe vom 8. August.

Er verstehe alles, nur nicht Bahnhof, schreibt Oliver Schweizer in seiner Kolumne von letzter Woche. Dabei geht es um den neugestalteten Bahnhofsplatz und seine Schattenseiten – oder besser: die fehlenden Schattenseiten.

Eigentlich neige ich als Heimwehzofingerin, die mittlerweile seit 43 Jahren in Luzern lebt, zu Zofingen-­Schwärmereien. Es ist ein wunderschönes Städtchen. Und vieles ist, wie es immer war. Und das, weil es halt auch schon immer schön war. Offen für Neues bin ich trotzdem, finde ich.

Eigentlich. Als ich im Rahmen des Konzertes von Herbert Grönemeyer meinen angereisten Luzerner Freunden eine stolze Stadtführung geben wollte, starteten wir am Bahnhof. Wäre es nicht so heiss gewesen, es hätte mich geschaudert. Neben dem klotzigen Mini-Beton-KKL-Dach erblickten wir drei verlorene Rundbänkli und ein (!) Bäumchen. Schatten: Fehlanzeige. Menschen: Fehlanzeige. Diese aufgeheizte Asphaltwüste ist derart unwirtlich, dass sich niemand länger als unbedingt nötig an diesem Ort aufhält.

«Ich verstehe nur Bahnhof», so schreibt Schweizer, stammt aus der Zeit am Ende des Ersten Weltkriegs. Als die Soldaten von der Front nur noch nach Hause wollten und darum überall «Bahnhof» zu hören glaubten. Der Bahnhof steht in diesem Sprichwort also eigentlich für: «Schnell weg von hier.» Sollten die Neugestalter des Platzes genau das im Schilde geführt haben, ist es ihnen vollumfänglich gelungen.

Auch uns hat dieser Platz rasch vertrieben: schnell weiter in das Städtchen. Unter die Linde. Die schöne Altstadt liess uns glücklicherweise den Bahnhof rasch vergessen. Eigentlich ist das aber schade: An einem Bahnhof müsste man gerne ankommen und nicht vor allem gerne weggehen.

Marianne Graber-Vogt, Luzern