«Liberalismus-Papst» plädiert für Verbote – wenn es ums Smartphone an Schulen geht
Wir alle hängen an den Bildschirmen unserer Smartphones, als existierte kein Morgen. Gäbe es Marsmenschen und kämen diese auf die Erde, sie fänden aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie kann es sein – so würden sich die Ausserirdischen fragen –, dass alle Menschen, egal, ob alt oder jung, auf ein kleines magisches Ding starren, derweil sie ihre bunte Umwelt keines Blickes mehr würdigen?
Die Antwort auf die Frage, was hier genau geschieht, ist fundamental wichtig, mit Blick auf unser Leben, aber mehr noch mit Bezug auf das Leben unserer Kinder. Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne schwindet seit Jahren generationenübergreifend, sie beträgt gegenwärtig noch 8 Sekunden. Im Falle des Konsums von Inhalten der Social-Media-Plattformen beträgt sie weniger als die Hälfte.
Patrik Müller hat in zwei Beiträgen mit guten Gründen für ein Smartphone-Verbot an Schulen hierzulande plädiert, nach demVorbild der USA, die zunehmend die Initiative ergreifen. Sogleich regen sich hier die Verbots-Kritiker, sie halten die Massnahme für übertrieben beziehungsweise illiberal. Die Verbots-Kritiker liegen jedoch ausnahmsweise falsch, sie sind sich der Tragweite dessen nicht bewusst, was passiert, wenn ein junges Gehirn auf einen flimmernden Bildschirm trifft.
Der Geist ist auf das Gehirn angewiesen
Um es mit dem Philosophen Markus Gabriel zu sagen: Der Mensch ist ein freies geistiges Lebewesen. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es eine Existenz im Lichte einer Vorstellung seiner selbst – und eines guten Lebens – führt und nicht bloss erleidet. Der menschliche Geist ist auf das Gehirn angewiesen, ohne mit ihm identisch zu sein. Dabei ist klar: Wer die Entwicklung des Gehirns hemmt, tendiert zu einem geistesarmen Leben. Und dieses Gehirn hat Schwachstellen, die mittlerweile ziemlich gut erforscht sind und die die Gründer der sozialen Netzwerke mit geradezu perfekter Perfidie ausnutzen. Die Sache ist also tricky und bedarf kurz der Erläuterung.
Die sozialen Medien sprechen mit ihren Posts das voll ausgebildete Belohnungszentrum des menschlichen Gehirns an, das davon nicht genug kriegen kann, während der für Impulskontrolle und Selbstdisziplin zuständige Frontallappen bei Kindern und Jugendlichen noch im Entstehen ist.
Die Konsequenz: Die Kinder reden nicht mehr miteinander, stattdessen starrt jedes Kind in jeder freien Minute wie ein Solitär auf sein Smartphone, hängt an seiner App und sehnt sich nach dem nächsten Post, der die nächste Dopaminausschüttung und also das nächste Glücksgefühl verspricht. Völlig isoliert, ohne sich zu bewegen oder irgendetwas zu leisten, sitzt das Kind da im anhaltenden Dopaminrausch. Die Endvorstellung eines solchen Lebens ist nicht schön: Coach, Coca-Cola, Pommes frites und endloses Scrollen auf der flimmernden Smartphone-Oberfläche. Jeder Vater und jede Mutter weiss: Was sich hier zeigt, ist echtes Suchtverhalten.
Überhöhte Erwartungen an Kinder
Von Kindern und Jugendlichen zu erwarten, dass sie diesen Zusammenhang durchschauen, ist zu viel verlangt, zumal selbst Erwachsene, wie beschrieben, zunehmend abhängig vom Konsum der sozialen Medien werden. Dagegen hilft tatsächlich nur eins: ein Verbot von appbewehrten Smartphones (nicht von Handys zum Telefonieren!) an Schulen und ein klar geregelter und strikter Gebrauch zu Hause, wie es der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt fordert. So kann sich das jugendliche Gehirn inklusive Frontallappen normal entwickeln, und dann ist das Kind später auch zu Geist, Freiheit und Selbstverantwortung fähig.
Deshalb ist ein Smartphone-Verbot nicht illiberal, sondern die Grundlage aller möglichen späteren Liberalität. Denn es erlaubt erst einen verantwortungsvollen freien Umgang mit sich, der Welt und – irgendwann – auch mit dem verführerischen Smartphone.