Ab in die «Tötungsbox»: Wenn die Maul- und Klauenseuche ausbricht, darf es für die Tiere kein Entrinnen geben
Es ist ein spezieller Tag am Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg in Gränichen: Dutzende Menschen haben sich am Dienstagnachmittag dort versammelt. Einige tragen eine Maske und sind in weisse Schutzanzüge gehüllt, wie man sie seit der Coronapandemie kennt.
Andere tragen gelbe Leuchtwesten, wuseln herum, machen sich Notizen, montieren Absperrbänder, führen Kühe über das Gelände. Heute werden sie nicht auf die Weide, sondern in «Tötungsboxen» getrieben.
So werden die Fanggitteranlagen von einigen Anwesenden umgangssprachlich genannt. Natürlich werden die Tiere heute nicht wirklich getötet. Es handelt sich um eine Übung. Geprobt wird der Ablauf bei einem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche (MKS), insbesondere wie man Schweine und Rinder in die Anlagen treibt – und sie letztlich tötet.
Seuchenprävention nennt sich das. Koordiniert wird der Anlass durch die Aargauer Kantonstierärztin Barbara Thür. Sie, die das Geschehen stets im Blick behält, auch wenn sie mit Journalisten spricht, sagt: «Wir müssen absolut sicher sein, damit wir im Ernstfall reagieren können.»
In den 1960er-Jahren mussten 10’000 Rinder geschlachtet werden
Es ist eine Weile her, seit die Maul- und Klauenseuche in der Schweiz wütete. Sie trat gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals auf und hatte im Jahr 1965 besonders verheerende Auswirkungen. Damals mussten über 10’000 Rinder geschlachtet werden. Nach kleineren Ausbrüchen 1968 und 1980 gilt die Schweiz als MKS-frei.
In anderen Weltgegenden ist die Seuche aber nicht besiegt. Immer wieder kommt es zu Ausbrüchen, die durch den globalisierten Tierhandel auch auf die Schweiz überschwappen können. Weil die Tiere hier nicht mehr geimpft werden, wären die Auswirkungen wohl besonders drastisch. «Deshalb ist die Übung sinnvoll, auch wenn wir in der Schweiz schon lange keinen MKS-Fall mehr hatten», sagt Barbara Thür.
Es sei wie beim Feuer: «Hydranten müssen bevor und nicht während es brennt installiert werden.»
Im Aargau gab es in den vergangenen Jahren laut Thür keine nennenswerten Seuchenausbrüche. «Die grösste Gefahr sehe ich derzeit in der afrikanischen Schweinepest», sagt sie. Sie werde zwar nicht durch Wind und Atmung übertragen, was die Maul- und Klauenseuche unter anderem so gefährlich macht. «Es ist die absolute Horror-Seuche», sagt Thür. Aber auch bei der Schweinepest müsse man Tiere töten.
Plötzlich büxt ein Rind aus
Die Einzigen, die nicht wissen, dass es sich nur um eine Übung handelt, sind die Tiere. Sie sind nervös und lassen sich teilweise nur schwer einfangen und in die vorgesehene Anlage treiben. Dann büxt ein Rind aus.
Es muss wieder eingefangen werden, was auch gelingt. Im Ernstfall wäre das eine äusserst gefährliche Situation, denn die Tiere könnten zu Nachbarhöfen gelangen und weitere Tiere anstecken. «Genau um für solche Situationen sensibilisiert zu sein, machen wir diese Übung», erklärt Thür.
Für die Tiere sei eine solche Übung zwar «nicht besonders angenehm», aber nicht neu, sagt die Kantonstierärztin. Beim Klauenschneiden etwa würden sie ebenfalls in Boxen getrieben.
Anschliessend, wenn alle Rinder tot sind, werden sie von einem Lastwagen abgeholt. Die Equipe muss dann die 400 bis 500 Kilogramm schweren Tiere einladen. Von der ersten Meldung bis zu diesem Punkt vergehen laut Barbara Thür normalerweise ein bis zwei Tage.
Im Kanton Aargau findet ungefähr einmal pro Jahr eine grössere Seuchenübung statt. Für die Kantonstierärztin ist die heutige dennoch aussergewöhnlich: «Eine MKS-Übung in dieser Form erlebe ich zum ersten Mal. Für mich ist es ein interessanter Tag und ich lerne viel», sagt sie. Bleibt zu hoffen, dass es bei der Übung bleibt und die gewonnenen Erkenntnisse niemals angewendet werden müssen.