Lady Liberty leidet unter Identitätsverlust: Freiheit ist in der heutigen Debatte nur noch ein ausgehöhltes Schlagwort
Die Republikaner sind verärgert: Kamala Harris hat ihnen ihr Lieblingswort geklaut, mit dem sie jahrelang erfolgreich Wahlkampf machen: die «Freiheit». Der Begriff ist für Amerikaner existenziell wie kein zweiter. In den USA definiert sich die Volksseele über den Wert der Freiheit. Die Amerikaner singen nicht nur in ihrer Nationalhymne vom «Land of the Free». Sondern schwören mit dem Pledge of Allegiance schon als Schüler jeden Morgen ihre Treue zu den zwei identitätsstiftenden Prinzipien der USA.Einerseits bekennen sie sich zur Freiheit, anderseits zur Gerechtigkeit.
Politisch war Freiheit dabei traditionell immer das Metier der Republikaner. Sie warben für Redefreiheit. Für die Freiheit, immer und überall Waffen tragen zu dürfen, und natürlich für einen schlanken Staat, der seine freien Bürger nicht mit neuen Gesetzen ärgert. Die Demokraten waren dagegen die Partei der Gerechtigkeit. Jene, die dafür schaut, dass es auch den unteren Schichten gut geht. Die Partei, die sich für die Gleichbehandlung aller Minderheiten einsetzt, im Zweifel mithilfe eines starken Staats.
Doch diese Dichotomie ist Geschichte, seitdem die demokratische Präsidentschaftskandidatin Harris «Freiheit» zu ihrem Kernthema gemacht hat. Denn Harris offenbart mit ihren Positionsbezügen geschickt, wieso die Republikaner keineswegs konsequente Verfechter der Freiheit sind. Wenn Harris sagt, sie kämpfe für die Freiheit der Frau, selbst über ihren Körper und Abtreibung entscheiden zu dürfen, dann ist das tatsächlich die Position des freiheitlichen Fortschritts. Auch hat Harris einen Punkt, wenn sie sich für gleiche Freiheitsrechte für sexuelle Minderheiten einsetzt.
Doch aus philosophischer Sicht ist Kamala Harris natürlich auch keine echte Verfechterin der Freiheit, sondern eher eine geschickte Marketingstrategin. Denn die Vordenker der Ideologie von Harris sind die amerikanischen «Liberals», also der linke Flügel der Demokraten, der ironischerweise den lateinischen Freiheitsbegriff für sich beansprucht. Die «Liberals» setzen sich zwar für möglichst viel individuelle Freiheit ein – dies aber mithilfe von massiven staatlichen Eingriffen wie Preiskontrollen und nur solange, bis die Freiheit in Konflikt gerät mit ihrer Auslegung des Gerechtigkeitsprinzips. John Locke würde es schaudern ob dieser Umdeutung ins Gegenteil.
Die Wirren um den Freiheitsbegriff sind aber kein rein amerikanisches Problem. Die europäischen Parteien, die die «Freiheit» im Namen tragen, sind ebenfalls alles andere als eine einheitliche Gruppe. So ist die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) die konservative Rechtsaussenpartei des Landes, in Deutschland regiert dagegen die Freie Demokratische Partei (FDP) unter einer linksgeführten Regierung, die immer wieder mit seltsamen Verbotsideen auf sich aufmerksam macht.
Doch auch die Linksparteien stehen auf Freiheit. So bezeichnet sich die SP als «Partei der Freiheit», die deutschen Grünen kämpfen für «Freiheit und Demokratie» und selbst die AfD nennt im Parteiprogramm offensiv den Freiheitsbegriff.
Freiheit stand am Anfang der liberalen Demokratie und ermöglichte das Entstehen der modernen Gesellschaften. Doch betrachtet man die heutigen politischen Debatten, so heisst Freiheit meist vor allem eines: frei von Überzeugungen.