Esmée Böbner beendet ihre Karriere – jetzt spricht die 24-Jährige erstmals ausführlich darüber
Seit der überraschenden Rücktrittsmeldung sind ein paar Tage verstrichen. Das letzte Turnier ist mittlerweile auch Geschichte. Zwischen diversen Terminen, um ihr «Leben danach» aufzugleisen, findet die Entlebucherin Esmée Böbner, 24, am ruhigen Montagmorgen Zeit für ein Gespräch am Luzerner Seebecken.
Wie geht es Ihnen nach dem Rücktritt?
Esmée Böbner: Mir geht es super. Zurzeit ist noch viel los, am Wochenende hatten wir einen tollen Abschlussbrunch mit unseren Sponsoren, Familien und so weiter. Für mich ist es jetzt erst mal schön zu wissen, dass es Zeit ist, mich umzuorientieren. Um alles zu verarbeiten, nehme ich mir in Zukunft sicher auch noch Zeit.
Spulen wir zurück: Über welchen Zeitraum ist Ihr Entschluss gereift? Wann kam der Rücktrittsgedanke zum ersten Mal auf?
Den Zeitpunkt kann ich nicht so genau sagen, aber es waren sicher mehrere Monate.
Und was steckt genau dahinter?
Ich habe mich zum ersten Mal richtig mit dem Leben nach dem Sport befasst. Mir war immer klar, dass man als Profi-Beachvolleyballerin nicht ausgesorgt hat. Als ich mich dann vermehrt mit dem Studium auseinandergesetzt habe, das mich interessiert, hat das bei mir viel ausgelöst. Diese Gefühle wurden immer stärker und ich wurde mir immer sicherer.
Welche Gefühle waren das?
Das ist schwierig zu sagen. Etwas anderes als das, was ich vom Sport kannte. Die konkrete Vorstellung vom Leben nach dem Sport hat sich einfach richtig angefühlt. Ein erfüllendes Gefühl, in dem ich so richtig aufging.
Sie meinten der Presse gegenüber ausserdem, dass es im Spitzensport Dinge gibt, die Ihnen nicht ganz passen.
Ja. Im Beachvolleyball ist man ständig unterwegs. Die Leute, zu denen ich eine tiefe Bindung habe, waren selten um mich herum. Klar, mit Zoé (Vergé-Depré, langjährige Teampartnerin, Anm. d. Red.) habe ich sehr gerne Zeit verbracht, aber meine weiteren Freunde und die Familie waren zu Hause. Das war für mich immer schwierig. Lange war ich bereit, dieses Opfer zu erbringen, aber in Kombination mit der neuen Zukunftsperspektive wurde die Disbalance zu gross.
Generell hat mir das Leben neben dem Sport immer viel gegeben – ich habe nicht nur für den Sport gebrannt. Aber ich denke, um an der absoluten Spitze mitzuspielen, muss man dem Sport alles unterordnen.
Wie war es, mit diesen Gedanken im Hinterkopf an den Olympischen Spielen anzutreten?
In Paris hatten wir noch eine Mission. Olympia stand auf meiner Bucketlist. Ich wusste, dass ich mich nicht sofort entscheiden musste, und dachte: «Hey, vielleicht macht das Ganze ja etwas mit mir, das mein Gefühl nochmals verändert.» Ich konnte das Rücktrittsthema also gut zur Seite schieben, den Wettkampf geniessen und habe bis zum Schluss alles gegeben für unser Team.
Olympia stand auf Ihrer Bucketlist? Wären Sie auch zurückgetreten, wenn es mit der Qualifikation noch nicht geklappt hätte?
Das habe ich mich auch gefragt. Aber ich glaube, es hätte nichts geändert. Olympia ist natürlich sehr speziell, und ich bin unglaublich dankbar, dass ich das erleben durfte. Aber am Ende sind das zwei Wochen in vier Jahren – ein Bruchteil von allem. Ich weiss nicht, ob mein Feuer gross genug gewesen wäre, um nochmals jeden Tag darauf hinzuarbeiten.
Bei wem fiel es Ihnen am schwersten, den Rücktritt zu verkünden?
Bei Zoé. Da war es mir am wichtigsten, dass sie mich und meine Gründe versteht. Und ich wusste, dass ihr Schicksal auch ein bisschen von mir abhängt.
Hatten Sie ein schlechtes Gewissen?
Eigentlich nicht. Klar war der Gedanke da, dass sie erst mal mit nichts dasteht. Aber ich weiss, wie viele gute Athletinnen im Kader sind und dass sie gut aufgehoben ist.
Wann haben Sie Zoé eingeweiht, und wie war das?
Das war noch in Paris. Es war sowieso nicht sicher, ob wir weiterhin zusammen spielen, denn nach Olympia kommt es häufig zu Umstrukturierungen. Es fühlte sich so an, als würde unsere Partnerschaft langsam ein Ende finden, deshalb gingen wir bereits etwas emotional in das Gespräch.
Über meinen Rücktritt war sie dann nicht allzu überrascht – Zoé kennt mich gut. Sie war sehr verständnisvoll und wir haben vor allem auf die schöne Zeit zurückgeblickt.
Wie waren die weiteren Reaktionen auf Ihre Rücktrittsmeldung?
Sehr positiv. Ich habe eigentlich auch mit negativen Reaktionen, vielleicht Vorwürfen gerechnet, aber die gab es kaum. Ich war überrascht über all die schönen Reaktionen und das Verständnis, das mir entgegengebracht wurde. Aber ich fühlte mich nach der Medienmitteilung ehrlich gesagt schon etwas beobachtet. (Lacht.)
Gab es eine Reaktion, die Sie besonders berührt hat?
Auf meinen Instagram-Beitrag habe ich viele Reaktionen von Spielerinnen und Spielern aus der ganzen Welt erhalten. Das hat mir gezeigt: Ich war inspirierend und habe etwas hinterlassen, auch wenn ich nicht so lange im Sport dabei war.
Bei der Schweizer Meisterschaft Ende August haben Sie Silber geholt. Wie war es, das letzte Mal als Profi auf dem Feld zu stehen?
Als wir uns vor dem Finale auf dem Bundesplatz aufgewärmt haben, kamen einige Personen bei mir vorbei. Da habe ich realisiert, wie viele Leute eigentlich involviert sind, und das war sehr berührend.
Nach dem Spiel war es dann gar nicht so emotional, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich war bis zum Schluss völlig im Flow – den grossen, traurigen Moment gab es nicht. Aber richtig schön war der Applaus, den ich erhielt. Die Leute haben so lange geklatscht, dass ich irgendwann dachte: «Vielleicht sollte ich vom Feld gehen, sonst hören die ja gar nicht mehr auf.» (Lacht.) Es hätte jedenfalls keinen besseren Ort geben können, um mein letztes Spiel zu spielen.
Blicken wir auf Ihre Karriere: Welche High- und Lowlights gab es?
Ein Highlight war die erste Goldmedaille bei einem 1-Stern-Turnier in Ljubljana 2018. Wir waren mit Florian Breer und Yves Haussener dort, ohne Coaches, und haben alle eine Medaille geholt. Das war eine megaschöne Woche. Ein Tiefpunkt war das Jahr 2019, da haben wir praktisch nur verloren.
Ganz besonders war natürlich dieses Jahr: Die erste Goldmedaille bei einem Challenge-Turnier, die erste Medaille an einem Elite-16-Turnier, der harte Olympia-Qualifikationsprozess und dann die Spiele in Paris. Und während all der Jahre gab es unzählige schöne und lustige Momente zwischen Zoé und mir.
Was werden Sie neben diesen schönen Momenten vermissen?
Als Sportlerin hat man viele Privilegien. Der Körper ist unser Kapital und man hat ganz einfachen Zugang zu medizinischer Betreuung. Die emotionale Achterbahn und all das Adrenalin werde ich vielleicht auch nicht mehr so schnell haben. Aber das werde ich alles noch rausfinden. Ich bin gespannt auf das, was kommt.
Was kommt denn jetzt genau?
Zuerst mache ich mein Psychologiestudium fertig, das ich neben dem Sport im Fernstudium absolviert habe. Das Studium, das ich neu beginnen möchte, ist im Gesundheitsbereich. Ich muss aber zuerst noch einen Studienplatz erhalten.
Dann freue ich mich auch darauf, meinen Alltag wieder selbstbestimmter gestalten zu können und mehr Energie für andere Sportarten zu haben.