Medaillenhagel dank Debrunner und Hug: So erfolgreich waren die Paralympics aus Schweizer Sicht
Als Schweizer verliert man an letztem Donnerstagabend leicht den Überblick im Stade de France. Es ist wie das Meeting «Weltklasse Zürich», das gleichzeitig im Letzigrund stattfindet – einfach mit noch mehr Schweizer Erfolgen und Zuschauern.
Den Anfang macht Catherine Debrunner kurz vor 19.30 Uhr, die Thurgauerin holt über 400 m auf ihrer Medaillen-Razzia ihre vierte Goldmedaille. Fünf werden es für den Superstar letztlich sein, dazu kommt eine silberne. Kaum ist der Jubel über ihren erneuten Coup verebbt, gewinnt Manuela Schär in ihrer Kategorie Silber. Für die Luzernerin ist es nach Gold über 800 m die zweite Medaille, und das im letzten Bahnrennen ihrer Karriere. Ein mehr als würdiger Abschluss.
Danach ist die Reihe an Marcel Hug. Der Thurgauer bestreitet die für ihn schwierigste Disziplin über 800 m und nach 600 Metern ist er noch weit hinter den Medaillen zurück, mit einem unwiderstehlichen Schlussspurt schafft er es schliesslich auf Platz 3. Am Sonntagmorgen fährt er dominant zum Marathon-Titel und erreicht sein selbst gestecktes Ziel: er gewinnt einmal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze.
Während all dieser Rennen steht auch Elena Kratter im Einsatz. Die Schwyzerin, die bereits vor drei Jahren bei ihrer Premiere Weitsprung-Bronze geholt hatte, wird erneut Dritte.
Ein zweiter Moment für die Ewigkeit: Der Sonntag kurz vor 13 Uhr, als im Stadtzentrum zweimal innert einer Viertelstunde der Schweizerpsalm zugunsten der Marathon-Champions Hug und Debrunner intoniert wird.
Ilaria Rengglis unerwartete Premiere
Der Weg der 24-jährigen Aargauerin im Turnierverlauf im Rollstuhl-Badminton ist extrem beeindruckend. Neun Partien bestreitet sie an ihren ersten Paralympics, in fünf Tagen und vor einer Kulisse, die alles, was sie bisher erlebt hatte, weit in den Schatten stellte.
Neun Partien, in denen sie so gut Badminton spielt wie noch nie, aber auch auf Rückschläge zu reagieren vermag. Wie auf das entscheidende Gruppenspiel im Doppel etwa, als Mathez/Renggli nach Matchball gegen Thailand unterlag, oder auf den kleinen Final gegen das gleiche Paar, den sie alles andere als zwingend verloren.
Es ist zusammen mit dem Einzel-Halbfinal die dritte Niederlage in Serie, der Körper ist müde, der Kopf leer und nun folgt noch das wichtigste Spiel ihrer Karriere – das Einzel um Platz 3. Renggli lässt ihrer deutlich erfahreneren Gegnerin keine Chance und beendet das Turnier als Nummer 1 ausserhalb Chinas. Es dürfte der Beginn einer grossen Karriere sein. Und die Tage von Paris werden dabei immer eine Rolle spielen.
Der schönste Sprint kommt nach der Ziellinie
Hunter Woodhall gewinnt am Freitagabend mit zwei Beinprothesen Gold über 400 m. Als der Amerikaner die Ziellinie überquert hat, hält er das Tempo hoch. Er foutiert sich um das Protokoll, rennt zu seiner Box und herzt seine Frau, die selber ausser sich ist vor Freude und anschliessend alle umarmt, die nicht rechtzeitig wegrennen.
Tara Davis-Woodhall ist keine Unbekannte: An den Olympischen Spielen hatte sie vor einem Monat im Stade de France die Goldmedaille im Weitsprung gewonnen. Nun ist das Familienglück komplett.
Chapeau, la France
Vor den Spielen stellte sich die Frage, ob die Gastgebernation den Enthusiasmus der Olympischen Spiele würde konservieren können. Die Antwort ist ein uneingeschränktes Ja.
Vom Boccia über den Blindenfussball, das Rollstuhl-Tennis und das Para-Taekwondo bis hin zur Para-Leichtathletik im Stade de France ist die Stimmung wunderbar, die Stadien sind hervorragend besucht. In einzelnen Sessions sind bis zu 80’000 Fans da. Insgesamt werden fast 2,5 Millionen Tickets abgesetzt. Ein elftägiges Sportfest par excellence.
Die Athletinnen und Athleten werden als Spitzensportler betrachtet, der Respekt vor den Leistungen ist gross – und dementsprechend die Ovationen. Tony Estanguet, der OK-Präsident und dreimalige Olympiasieger im Kanu, hatte an der Eröffnungsfeier von der «schönsten Revolution» gesprochen, die an den Paralympics stattfinden würde. Er, seine Landsleute und alle internationalen Gäste haben mit grosser Herzlichkeit Wort gehalten. Chapeau, la France et merci.