Angst vor Medienwüste in der Romandie: Wenn sogar die FDP-Regierungsrätin wie eine Gewerkschafterin auftritt
«Die Westschweizer Presse blutet aus», heisst es auf einem Kartonschild mit dem Logo der Waadtländer Tageszeitung «24heures». «Tamedia tötet eure Medien» auf einem anderen.
Ja, knackige Schlagzeilen schreiben können sie, die Journalistinnen und Journalisten, die am Donnerstag vor dem Tamedia-Redaktionsgebäude in Lausanne und parallel dazu in Genf demonstrierten. Doch wie lange noch?
Die Romandie bangt um die Zukunft ihrer Zeitungen – stärker noch als die Deutschschweiz. Denn im französischsprachigen Landesteil dominiert ein einziger Player drei Viertel des Marktes: Das Zürcher Medienhaus Tamedia, das unter anderem die «Tribune de Genève» und «24heures» herausgibt und zur TX Group gehört.
Das Unternehmen hat Ende August seine neusten Sparpläne angekündigt:Schweizweit sollen 290 Stellen abgebaut werden, 90 davon auf den Redaktionen, die übrigen 200 dank der Schliessung der Druckereien in Lausanne und in Zürich.
Nein zu übersetzten Artikeln
In der Romandie befürchtet man, die grössten Opfer erbringen zu müssen, nachdem Tamedia bereits 2023 landesweit 80 Stellen gestrichen hat – rund 60 davon in der Westschweiz. Schon zuvor wurde die Printausgabe von «Le Matin» eingestellt. Das Angebot der verbleibenden Titel wirkt zusehends ausgedünnt.
Entsprechend gross ist das Aufbäumen gegen den erneuten Kahlschlag – und das unabhängig der politischen Couleur. Das zeigte die einstündige Streikaktion der Tamedia-Belegschaft.
«Tamedia ist daran, die Medienlandschaft zu zerstören», sagte die Waadtländer Wirtschaftsdirektorin Isabelle Moret als erste Rednerin an die über 50 Journalistinnen und Gewerkschafter gewandt. Wer die FDP-Staatsrätin nicht kennt, hätte glatt meinen könne, sie sei selber eine Gewerkschaftsvertreterin. Nicht nur wegen ihrer Aussagen, sondern auch weil sie via Megafon zu den Protestierenden sprach und mit Sirenenlärm und Trillerpfeifen beklatscht wurde.
Die Waadtländer Kantonsregierung habe der Tamedia-Direktion am Vorabend ihre «grosse Besorgnis» mitgeteilt, sagte Moret. Medien seien die Pfeiler der Demokratie. Es komme nicht in Frage, dass die Westschweiz künftig nur noch übersetzte Artikel aus der Deutschschweiz erhalte, wie dies heute schon vorkommt. «Die Romandie verdient mehr als nur eine Übersetzung», betonte die FDP-Frau.
Wie sich der Abbau von 90 Stellen auf die Redaktionen verteilt, gibt Tamedia wohl am nächsten Dienstag bekannt. Unter der Belegschaft glaubt man, dass in der Romandie bis zu 45 Stellen gestrichen werden könnten. 30 Prozent der Angestellten seien bedroht, warnte «24heures»-Journalist Erwan Le Bec. Wie mehrere Gewerkschaftler forderte er die Aktionäre des börsenkotierten Medienhauses dazu auf, ihr Profitstreben dem Fortbestehen der Zeitungen unterzuordnen.
Stellenabbau als Folge von Verlusten
Tamedia schlägt in der Romandie schon länger ein eisiger Wind entgegen. Dass die Zukunft der Presse in Zürcher Händen liegt, wird hier nicht gerne gesehen.
CEO Jessica Peppel-Schulz wagte sich am Mittwochabend also in die Höhle des Löwen, als sie die Umstrukturierungen in der RTS-Tagesschau verteidigte. Laut ihren Aussagen schreiben die Tamedia-Pressetitel in der Romandie seit fünf Jahren Verluste, zuletzt in der Höhe von neun Millionen Franken. «Wir müssen reagieren, um den Qualitätsjournalismus zu gewährleisten und ein guter Arbeitgeber zu sein», sagte die deutsche Managerin. Im Digitalen will sich Tamedia künftig auf seine vier stärksten Titel konzentrieren, wozu in der Romandie einzig «24 heures» zählt. Die Print- und Onlineversion der «Tribune de Genève» blieben aber erhalten, versicherte Peppel-Schulz.