Was Fledermäuse mit der Kindersterblichkeit im Norden der USA zu tun haben
Wenn Fledermäuse sterben, sterben bald mehr menschliche Säuglinge. Zu diesem dramatischen Schluss kommteine kürzlich im «Science»-Magazin publizierte Studie aus den USA, die sich mit dem Fledermaussterben in der Region New England im Norden der USA beschäftigt. Dort erlagen 2006 massenhaft Fledermäuse einer bisher unheilbaren Pilzerkrankung, dem sogenannten Weissnasensyndrom.
Das Syndrom kennzeichnet sich durch einen weissen Pilzbewuchs rund um die Nase der Fledermäuse. Mittlerweile hat es sich auf zahlreiche weitere US-Staaten und kanadische Provinzen ausgebreitet. Millionen von Fledermäusen sind bereits daran verendet. Und auch Menschen leiden indirekt darunter.
Es ist eine Kettenreaktion: Wenn es weniger Fledermäuse gibt, die Käfer, Fliegen und Raupen fressen, nimmt die Zahl der Insekten zu. Das wiederum veranlasst Landwirte, mehr Insektizide zu sprühen. In New England gelangten so 31 Prozent mehr Insektengifte in die Umwelt, wie die Forschenden berichten. Gleichzeitig stieg die Säuglingssterblichkeit in den betroffenen Bezirken um 8 Prozent. Die Forschenden bringen diese Todesfälle mit der Zunahme der Insektizide in Verbindung, die bekanntermassen insbesondere für Föten und Säuglinge gefährlich sind.
Insektizide stiegen an, Herbizide blieben gleich
Eyal Frank, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Chicago, erkannte: Das Fledermaussterben aufgrund des Weissnasensyndroms ist so etwas wie ein natürliches Experiment. Die Krankheit trat plötzlich auf und verbreitete sich schnell. Daher konnte Frank die Ergebnisse in Bezirken, in denen viele Fledermäuse verendeten, mit denen in ähnlichen Bezirken vergleichen, die noch nicht betroffen waren.
Er fand heraus, dass Landwirte im ersten Jahr im Schnitt etwa ein zusätzliches Kilogramm Insektizid pro Quadratkilometer versprühten. Nach fünf Jahren waren es zwei Kilogramm mehr als zuvor. Der Einsatz von Unkraut- und Pilzgiften blieb hingegen stabil.
Dort, wo die Fledermauspopulationen zusammengebrochen waren, blieben die Todesfälle durch Unfälle oder Tötungsdelikte gleich. Andere Todesfälle, etwa durch Krankheiten oder Geburtsfehler, stiegen jedoch um 8 Prozent. In Bezirken mit gesunden Fledermauspopulationen veränderten sich die Zahlen weder in die eine noch in die andere Richtung.
Ob es wirklich keine anderen Faktoren gibt, welche die Säuglingssterblichkeit in New England beeinflussen, kann die Studie nicht abschliessend klären. Rätselhaft ist nämlich, warum etwa das Geburtsgewicht von Säuglingen nicht mit dem Rückgang der Fledermäuse korreliert.
«Der Anstieg der Todesfälle ist enorm»
Die Studie sei «der bisher überzeugendste Beweis» für den Zusammenhang von wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen und dem Verlust einer wild lebenden Tierart, sagt Paul Ferraro gegenüber dem «Science»-Magazin. Ferraro ist ein Nachhaltigkeitswissenschaftler an der Johns-Hopkins-Universität, der nicht an der Studie beteiligt war.
«Der Anstieg der Todesfälle ist enorm», sagt auch die Umweltgesundheitswissenschaftlerin Tracey Woodruff von der University of California, San Francisco. Sie hält den Zusammenhang für plausibel und besorgniserregend. In einer früheren Studie hat sie eine ähnlich erhöhte Kindersterblichkeit mit Luftverschmutzung in Verbindung gebracht.
Winifred Frick, die leitende Wissenschaftlerin bei der internationalen NGO Bat Conservation, sagt, ihr sei die Kinnlade runtergeklappt, als sie von den Ergebnissen gehört habe. Es gebe Anzeichen dafür, dass sich einige Fledermauspopulationen in der Region wieder erholen. Aber es könne Jahrzehnte dauern, bis sie ihre frühere Grösse erreichen. In der Zwischenzeit breitet sich der Weissnasen-Pilz im Westen der Vereinigten Staaten aus, auch in Kalifornien, einer wichtigen landwirtschaftlichen Region.