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«Leuthard hatte überhaupt keinen Plan» – in dieser AKW-«Arena» kommt (fast) alles zurück

In der SRF-«Arena» vom 13. September wurden gleich zwei Themen diskutiert: Werden bald wieder neue AKW gebaut – und was bedeutet das Unterschriften-Debakel für die «Blackout-Initiative»?

2017 stimmte die Schweiz für einen Ausstieg aus der Atomenergie. Es war eine der wichtigsten Massnahmen des revidierten Energiegesetzes, das am 21. Mai 2017 vom Stimmvolk angenommen wurde. Ende August dieses Jahres stellte Albert Rösti, Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), diesen Volksentscheid infrage.

Hintergrund des Richtungswechsels ist die sogenannte «Blackout-Initiative», die in der Verfassung festhalten will, dass alle «klimaschonenden Arten der Stromerzeugung» zugelassen werden müssen – auch die Kernkraft. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, will nun aber einen indirekten Gegenvorschlag formulieren. Klar ist schon jetzt: Das Neubau-Verbot für AKW würde aufgehoben.

Darüber diskutieren in der «Arena» vom Freitag, dem 13., bei Moderator Mario Grossniklaus:

Michael Graber, Parteileitung SVP und Nationalrat SVP/VS

Jon Pult, Vizepräsident SP und Nationalrat SP/GR

Susanne Vincenz-Stauffacher, Nationalrätin FDP/SG

Priska Wismer-Felder, Nationalrätin Die Mitte/LU

Ausserdem im Studio anwesend:

Vanessa Meury, Präsidentin Energie Club Schweiz, Präsidentin Junge SVP Kanton Solothurn

Gioia Florence Benninger, Vorstandsmitglied Allianz Atomausstieg, Co-Präsidentin Junge Grüne Kanton Bern

Darf der Bundesrat das?

In der «AKW-Arena» erhält Jon Pult, SP-Nationalrat, als Erster das Wort. Nicht die Kernkraft-Diskussion an sich, sondern das Vorgehen des Bundesrats störe ihn. Den Volkswillen über einen Gegenvorschlag zu einer Initiative zu kippen, bezeichnet er als «Bubentrick». Der Bundesrat müsse der Bevölkerung «reinen Wein einschenken» und konkret über Umsetzung und Finanzierung neuer AKW sprechen.

Warum man den Volkswillen nicht respektiere, gerade als Volkspartei, will Grossniklaus vom SVP-Exponenten auf der anderen Seite wissen. SVP-Nationalrat Michael Graber setzt sogleich zu einer Salve an, die mit einer gehässigen Bemerkung zu Alt-Bundesrätin Doris Leuthard startet.

Der indirekte Gegenvorschlag Ein indirekter Gegenvorschlag ist eine Reaktion des Bundesrats oder des Parlaments auf eine Volksinitiative. Eine Volksinitiative will eine Änderung in der Verfassung vornehmen. Mit einem indirekten Gegenvorschlag kann das Parlament als Alternative eine Gesetzesänderung vorschlagen. Das Initiativkomitee kann sich dann entscheiden, ob es seine Initiative zurückziehen möchte. Zieht es die Volksinitiative zurück, tritt das Gesetz in Kraft. Zieht es die Initiative nicht zurück, kann das Stimmvolk über die Annahme der Volksinitiative entscheiden. Wird die Volksinitiative angenommen, tritt die Volksinitiative in Kraft. Lehnt das Stimmvolk sie ab, tritt das vorgeschlagene Gesetz in Kraft. Vorausgesetzt, es wird kein Referendum dagegen ergriffen. quelle: easyvote.ch

Die damalige Energieministerin Leuthard hatte nach der Fukushima-Nuklearkatastrophe 2011 den schrittweisen Atomausstieg der Schweiz verkündet. Sechs Jahre später hiess die Stimmbevölkerung die Energiestrategie 2050 und damit auch das Verbot von AKW-Neubauten gut.

«Die Ausgangslage ist heute aber eine ganz andere», sagt Graber. Das angenommene Klimaschutzgesetz und der höhere Stromverbrauch sowie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hätten die Lage verändert. Und nicht zuletzt hätten auch «links-grüne Organisationen, die alles andere blockieren» – namentlich Projekte der Erneuerbaren – ihren Anteil.

Mit diesen neuen Informationen begrüsse er es, dass die Stimmbevölkerung erneut über Kernkraftwerke entscheiden könnte. Vorausgesetzt, der Gegenvorschlag wird angenommen und durch ein fakultatives Referendum vors Volk gebracht.

Auch wenn eine Aufhebung des Neubau-Verbots noch kein neues AKW bedeute, sondern damit lediglich die Option offengelassen werde, sieht die Luzerner Nationalrätin Priska Wismer-Felder den indirekten Gegenvorschlag als «Gift». Der «ellenlange Prozess», den Bundesrat Rösti mit dem Gegenvorschlag in Gang gesetzt habe, bedeute Unsicherheit für viele Akteure: eine «Nebelpetarde».

Ist Atomkraft wirklich die bessere Lösung?

Für Susanne Vincenz-Stauffacher, FDP-Nationalrätin, bedeutet eine Aufhebung des Neubau-Verbots von AKW eine Ergänzung der Erneuerbaren: «Das Eine tun und das Andere nicht lassen.» Der grosse Schritt, nämlich dass man die Erneuerbaren auf den Weg gebracht habe, sei geschafft, jetzt könne man «das Visier aufklappen».

«Wir haben zwei Ziele: Netto-Null bis 2050 und die Versorgungssicherheit. Und hier scheiden sich die Geister, ob die Erneuerbaren ausreichen oder nicht.»

Jetzt gehe es darum, zu beweisen, dass die Versorgung auch ohne neue Kernkraftwerke sichergestellt werden könne. Das könnte den Erneuerbaren sogar neuen Anschub geben – ein Argument, das auch Bundesrat Rösti bereits angeführt hat.

Hier hakt Pult ein, der Vincenz-Stauffacher einen «groben analytischen Fehler» unterstellt. Vielmehr sei es doch so, dass jene, die bereits gegen die Erneuerbaren seien, die Möglichkeit neuer AKW als Gegenargument ins Feld führen könnten.

Auch aus einer Versorgungsperspektive findet Pult die erneute AKW-Diskussion «verantwortungslos». Denn selbst wenn sich die Stimmbevölkerung für den Neubau von Kernkraftwerken ausspräche, würde ein neues AKW «vielleicht» 2045 stehen – zu spät.

Auftritt Graber. «Jon Pult, mit Verlaub, das war jetzt Atom-Geschwurbel von Ihnen.» Die effektive Bauzeit eines AKW betrage unter sechs Jahre, zitiert er eine ETH-Studie. Allgemeines Gelächter und ungläubige Gesichter von der gegnerischen Seite. Moderator Grossniklaus muss eingreifen und spezifizieren: «Da sind die Bewilligungsverfahren aber nicht miteingerechnet.»

«Wir machen einen Solarexpress. Was wir brauchen im Land, ist ein Atomexpress.»

Auch Wismer-Felder wirft er «Realitätsverweigerung» vor, was er sofort möglichen Solidaritäten mit ihrer ehemaligen Parteikollegin und Bundesrätin Doris Leuthard zuschreibt. Die Mitte-Nationalrätin wird die Leuthard-Anspielungen langsam leid und stellt bei der nächsten Gelegenheit klar: «Der Bundesrat hat die Energiestrategie gemeinsam entschieden. Und das Volk hat sie bestätigt.» Die Energiestrategie 2050 als gescheitert zu erklären, fände sie mit Verweis auf das 2050 im Namen ausserdem nicht nachvollziehbar.

Vanessa Meury, Präsidentin des Energie Clubs Schweiz, der die «Blackout-Initiative» lanciert hat, sorgt zum Schluss der «Arena» noch einmal für Stimmung im Studio 8.

Nämlich dann, als das Thema Atommüll zur Sprache kommt. Für Meury, die auch Präsidentin der Jungen SVP des Kantons Solothurn ist, alles kein Problem. Die Endlagerung des radioaktiven Materials sei zwar politisch umstritten, technisch aber machbar und nun, da ein Standort gefunden worden sei, «gelöst».

Mit Nördlich Lägern sei zwar ein Standort gefunden worden, ein rechtsgültiger Beschluss liege aber noch nicht vor, wirft Pult ein.

Meury lässt sich davon nicht beirren und geht noch weiter:

«Es ist überhaupt kein Problem. Im Gegenteil: Ich finde sogar, dass der Abfall ein Argument für die Kernenergie ist.»

Erneuerbare würden viel mehr Abfall produzieren. Ungläubiges Gemurmel aus dem Off von Pult und Wismer-Felder: «Das ist ja unglaublich», «strahlt halt einfach 1000 Jahre.» Gioia Florence Benninger von Allianz Atomausstieg kontert, dass das Problem nicht gelöst sei und man vor der Produktion neuen Atommülls erst sichere Lösungen für den bestehenden brauche.

Die Sache mit den Unterschriften

Als wäre ein mögliches Comeback neuer Atomkraftwerke nicht schon kontrovers genug, musste sich diese «Arena» einem zweiten Thema stellen, das zurzeit die Gemüter erhitzt: dem kürzlich aufgedeckten sogenannten «Unterschriften-Bschiss», von dem auch die «Blackout-Initiative» betroffen sein soll.

Die Tamedia-Zeitungen hatten Anfang September publik gemacht, dass kommerzielle Sammel-Unternehmen Tausende Daten für Initiativen gefälscht hatten. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts auf Wahlbetrug. Auch die «Blackout-Initiative» hat mit dem kommerziellen Sammel-Unternehmen Incop zusammengearbeitet, das im Zentrum der Recherche steht. Fast die Hälfte der Unterschriften der Initiative kam aus der Westschweiz. Ein demokratiepolitisches Problem?

Meury weist darauf hin, dass man die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen sofort beendet habe, als Unstimmigkeiten aufgetreten seien. Ausserdem habe man über 25’000 Unterschriften mehr eingereicht, als für eine Volksinitiative nötig gewesen wären. SP-Nationalrat Pult eilt der Jung-SVP-Politikerin schon fast zu Hilfe, als er die Diskussion in grundsätzlichere Bahnen lenkt.

Denn für Pult ist die Sache klar. Die Idee der direkten Demokratie sei doch, dass sich die Leute zusammentun und engagieren und nicht mit Geld Engagement erkaufen. Ein Seitenhieb gegen die FDP-Nationalrätin Vincenz-Stauffacher, die zuvor meinte, manche würden halt lieber spenden als sammeln.

«Direkte Demokratie darf kein Geschäftsmodell sein.»

Die Reaktion von Vincenz-Stauffacher folgt prompt: Es überrasche sie schon, dass gerade er Mühe mit Organisationen habe, deren Geschäftsmodell die direkte Demokratie ist, würden Kampagnenorganisationen doch genau dies tun. Einig geht sie mit ihm aber darin, dass die offensichtliche Anfälligkeit bestimmter Sammel-Organisationen für Betrug angegangen werden müsse.

Die Fronten im Studio 8 sind am Freitagabend klar. Auf der einen Seite SVP und FDP, die weder beim Unterschriften-Debakel noch beim Atommüll ein gröberes Problem zu sehen scheinen, wohl aber bei der vermuteten Verweigerungshaltung der Gegnerinnen und Gegner. Auf der anderen Seite Mitte und SP, die in der Wiedereröffnung der Option AKW eine gefährliche Hintertür sehen, die den Erneuerbaren schadet.

Provokationen kamen an diesem Abend vor allem vonseiten des SVP-Nationalrats Graber. Doch auch Pult, der viele der gegnerischen Aussagen mit einem Lachen quittierte, wurde dafür von Meury und einem Studiogast zurechtgewiesen. Grabers Versuche, das Thema Migration doch noch irgendwo unterzubringen, wurden vom Moderator oder den Mitdiskutierenden schnell abgewendet oder nicht erwidert. Die Angriffe gegen Alt-Bundesrätinnen widersprochen. Fast schon passend zum Sendungsthema, könnte man meinen – «what goes around, comes around.»