«Whoa, saucool!»: Mit meinem Teenager im Turnschuh-Himmel
Die Superlative machen Eindruck. «Whoa, saucool», flüstert Teenagersohn Max in die Ruhe vor dem Sturm. Es ist der Eröffnungstag von«Nike – Form Follows Motion», der ersten Museumsschau über die grösste Sportmarke der Welt – ever. Designhistoriker Glenn Adamson hat auf Initiative des Vitra Design Museums die Archive des US-Unternehmens durchstöbert und Klassiker für eine Wanderausstellung ausgewählt.
Wo ich aber nur Turnschuhe sehe, erkennt mein Sohn einzelne Modelle, «Silhouetten» – und Kollaborationen. «Designerinnen und Designer ballern eigene Sohlen unter Nike-Sportschuhe», klärt mich Max auf. Er ist zwar kein extremer «Sneakerhead» sprich Turnschuhkopf, aber das Modell mit hochhackigem Absatz findet er als Objekt schon gut. Warum nicht gleich High Heels? «Weil Turnschuhe bequemer sind. Ausserdem haben sie …» – «Aura?», strapaziere ich mein Jugendsprech. «Das nicht gerade, aber sie vermitteln alle möglichen Vibes, weil Modetrends gemeinsam mit der Popkultur aus den USA herüberschwappen.»
Zum Beweis sind da die Sneakers,die Nelly 2002 in «Air Force Ones» berappt, aber wohl kaum bezahlt hat(«dafür bin ich zu jung»); eine Sonderanfertigung für Elton John in so ziemlich allen Farben («freakig») und natürlich die selbstbindenden Schuhe aus «Back to the Future» («Legende!»), wenn auch nur als Fotografie. An anderer Stelle finden sich Basketballschuhe aus dem Bugs-Bunny-Animationsfilm «Space Jam», Kanye-West-Kloben oder der «Cortez»-Laufschuh in Weiss-Rot-Blau, der in «Forrest Gump» seinen prominenten Auftritt hatte: Max trägt dasselbe Modell. «Das macht diese Schuhe aus: Das Design ist so gut, dass es bis heute Bestand hat.»
Stammbaum für Basketballschuhe
Aber noch einmal: warum gerade Turnschuhe? «Sie sind für modebewusste Menschen das Highlight», erklärt mein Sohn. «Ein Outfit kann noch so gut sein, schlechte Schuhe verderben alles.» Geschmack steht beziehungsweise fällt also in und mit schlechtem Schuhwerk? «Na ja, was heisst schon schlecht», relativiert Max. «Der Unterschied zwischen cringe und zeitlos ist oft klein.» Wie steht es mit dem Schuh in Speckfarben, der für einen New Yorker Sneakerladen in einer ehemaligen Metzgerei entworfen wurde? «Weiss ich jetzt nicht», sagt der überzeugte Vegetarier.
Welche Schuhe gefallen ihm selbst am besten? «Mich reizen Silhouetten, die man nicht ständig auf der Strasse sieht. Das gilt eben auch für alte Modelle.» Wenn eine Designikone wie der 2021 verstorbene Virgil Abloh sie mit einem ironischen Anführungszeichen versieht, umso besser. Und teurer. «Als Sneakerhead akzeptiert man, dass ein 150-Dollar-Schuh plötzlich 500 Dollar wert ist, nur weil etwas draufsteht – auch wenn das eigentlich eine Frechheit ist.» Mit Massengütern den Anschein von Einzigartigkeit erwecken: eine sportliche Leistung.
Museumspädagogisch verwegen rollen wir die Ausstellung von hinten auf und arbeiten uns an Michael Johnsons goldenen Olympia-Schuhen und einem Modell aus dem 3D-Drucker vorbei, das wirkt, als wäre jemand in ein Korallenriff getreten. Eine weitere Vitrine zur Entwicklung von Basketballschuhen erinnert ans Naturkundemuseum. «Man sieht den Schuhen ihre Evolution an», pflichtet Max bei. «Alte Modelle sind streng und klar geschnitten wie Rennvelos, neuere massig wie ein Panzer, der alles platt macht.»
Profil aus dem Waffeleisen
Mit dem unbedingten Willen zum Sieg und einem Waffeleisen (für das Gummiprofil der ersten Sohlen!) ein Imperium auf die Beine stellen: Doch, das imponiert. Im ersten Ausstellungsraum steht das Werkzeug, mit dem Nike-Gründer Philip Knight in den Siebzigern die Adidas-Markenvorherrschaft in den USA brach. Von Anfang an wurden die Schuhe aufregend futuristisch gestaltet, wie kleine Raumschiffe, die einen in eine bessere, inklusive, queer- und frauenfreundliche Zukunft tragen … «Ich weiss nicht, wie wichtig Nike das wirklich war», erwidert Max pragmatisch. «Aber sie decken damit den gesamten Markt ab.»
Die kontroversen Produktionsbedingungen der Sneakers im Globalen Süden – Stichwort: «Kleine Kinderhände nähen schöne Schuhe» (Deichkind) – bleiben dagegen aussen vor. «Was am Anfang an Information fast zu viel ist, fehlt gegen Ende», sagt Max. «Hier geht es nur ums Design.»
Vor einer Originalzeichnung des ikonischen «Swoosh»-Logos bleibt er andächtig stehen: Grafikdesign-Studentin Carolyn Davidson hat es 1972 entworfen, für damals gerade einmal 35 Dollar. «Coole Ausstellung», zieht mein Sohn Fazit. «Wer sich gerne Sneakers anschaut, kommt ganz sicher auf seine Kosten, auch ohne die ganze Geschichte drumherum.» Wir nehmen die Schuhschau ohne Schachtel, danke und auf Wiedersehen!