Früher war nicht alles besser: Stoppt das Comeback der Comebacks!
«Oasis gehen auf grosse Comeback-Tour», «Stefan Raab mit fulminantem Fernseh-Comeback», «Paris Hilton mit Musik-Comeback». Das sind nur einige der Comebacks, die uns in den letzten Wochen um die Ohren gehauen wurden. Ebenfalls feiern ihre unverhoffte Rückkehr der Bleistiftrock, die Eiscremetorte Viennetta und das Coronavirus. Zumindest wenn man den jüngeren Schlagzeilen glaubt. Achtung Kalauer: Das Comeback feiert ein Comeback. Muss das sein?
Offensichtlich schon. Weil wir halt im Herzen alles schlimme Nostalgiker sind. Hören wir «Wonderwall» von Oasis sehen wir uns wieder mit 20 Jahren in der verrauchten Disco rumknutschen. Sehen wir Raab moderieren, denken wir an «Maschendrahtzaun» und «Wadde hadde dudde da» und schmunzeln. Essen wir ein Viennetta sitzen wir gedanklich am Tisch bei Grosi mit dem etwas muffigen Tischtuch.
Das braucht niemand
Ohne solche Erinnerungen sind all diese Comebacks aber eigentlich befremdlich. Bei Raabs dumpfen Witzen schlottert es einem 2024 manchmal vor Fremdscham. Das Viennetta-Eistörtchen ist mit gutem Grund aus den meisten Kühltruhen dieser Welt verschwunden. Und das Coronavirus soll uns bitte gestohlen bleiben. Okay, die Songs von Oasis sind immer noch gut, aber brauchen wir tatsächlich noch eine Band, die mit zwanzig Jahre alten Liedern um den Globus tourt und so tut, als wäre die Zeit stehen geblieben? Dafür haben wir doch schon die Rolling Stones.
Es gibt schon Gründe, warum all diese Sachen einmal verschwanden beziehungsweise alle einmal ihren Rücktritt oder ihre Auflösung bekannt gaben. Schliesslich heisst es: «Man soll dann aufhören, wenn es am schönsten ist.» Die Allermeisten, die sich in den letzten Jahren zu einem Comeback genötigt fühlten, hatten diesen Moment schon verpasst. Es war nicht mehr der schönste Moment, sondern vielleicht eher der vierundzwanzigst schönste (aufgerundet). Aus dem absteigenden Ast wird ein paar Jahre später nicht plötzlich ein Sprungbrett.
Es ist auch eine enorm innovationsfeindliche Entwicklung. Alle Comebacker haben das Gefühl, es gehe nicht ohne sie. Oder noch schlimmer: Sie könnten es besser als all jene, die es heute machen. Das ist irritierend und anmassend. Zumal sie ja zurückkommen, um exakt das zu machen, was sie vorher schon gemacht haben. Veränderungen oder gar Weiterentwicklungen sind unerwünscht. Damit tun die Rückkehrer so, als wäre in ihrer Abwesenheit die Zeit einfach stehengeblieben.
Früher war nicht alles besser
Ganz ehrlich: Ich bin froh, dass sich Welt, Fernsehen und Musik weiterentwickelt haben. Dieses «früher war alles besser» ist eine schrecklich verklärende Haltung. Natürlich: Früher war auch vieles okay. Aber im Jetzt ist auch vieles ganz gut. Nicht alles, gewiss. Aber war es das, als Oasis das letzte Mal «Wonderwall» live gespielt haben? Spoiler: Nein.
Oftmals schaden sich die Rückkehrer auch selbst. Mit undurchdachten Revivals zertrümmern sie mitunter ihr eigenes Lebenswerk. Aus dem «Fernseh-Titanen» Stefan Raab wird spätestens nach hundert halbgaren Witzchen ein «Fernseh-Opa», der noch tief im Gestern hängt. Dass der tatsächlich mal innovativ war, gerät dann schnell in Vergessenheit.
Darum: Stoppt das Comeback der Comebacks! Packt Stefan Raab, Oasis, die singende Paris Hilton, den Bleistiftrock, das Viennetta, das Coronavirus und gleich noch ein paar andere Sachen (vor allem «Wetten, dass…?») endgültig in die Nostalgiekiste. Anlässlich Klassenzusammenkünften, Pfadi-Revivals und sonstigen Retro-Events darf die Kiste schon kurz geöffnet werden, aber die restliche Zeit bleibt sie geschlossen. Sonst verpassen wir all die modernen, zeitgemässen Sachen.
Wobei diese dann wohl spätestens in zwanzig Jahren ihr Comeback feiern.