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450’000 Franken Sozialhilfe in zwölf Jahren: 59-jähriger Syrer aus dem Aargau muss sich einen Job suchen

Seit 14 Jahren lebt ein gesundheitlich angeschlagener Syrer mit seiner Familie von der Sozialhilfe – eine Gesetzesänderung setzt ihn unter Druck.

Rückstufung: Dieser abstrakte Begriff klingt harmlos. Für Ausländer, die in der Schweiz leben, hat er allerdings Folgen. Sie verlieren bei einer solchen Massnahme die unbefristete Niederlassungsbewilligung C, erhalten stattdessen die Aufenthaltsbewilligung B, die fünf Jahre gültig ist. 2023 hat der Kanton Aargau 51 dieser Rückstufungen erlassen.

Eine Rückstufung hat das Aargauer Amt für Migration und Integration (Mika) im Jahr 2022 bei einem 59-jährigen Syrer verfügt. Er wehrte sich dagegen bis vor Bundesgericht, nun liegt das Urteil vor. 1987 war es, als der Mann in die Schweiz kam und ohne Erfolg ein Asylgesuch stellte. Zwei Jahre später erhielt er durch die Heirat mit einer in der Schweiz lebenden Türkin eine Aufenthaltsbewilligung. Nach ihrem Tod heiratete er eine drei Jahre jüngere Syrerin. Das Paar hat vier Kinder, das jüngste (Jahrgang 2007) ist heute als einziges minderjährig.

Die Rückstufung im Fall des Syrers lässt sich als eindringliche Ermahnung verstehen. Mit dieser Massnahme können Migrationsbehörden Ausländer dazu bewegen, sich besser zu integrieren. Im Fall des Syrers geht es darum, sich und seine Familie zumindest teilweise von der Sozialhilfe zu lösen, wie es im Urteil des Bundesgerichts heisst. Gelingt ihm das nicht, hat die Behörde ein gewichtiges Argument für den Widerruf oder die Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung.

Rückstufung wegen Sozialhilfebezug seit 2019 möglich

Diese Massnahme ist per Gesetz seit 2019 möglich. Zuvor konnte die Niederlassungsbewilligung von Ausländerinnen und Ausländern, die sich seit mehr als 15 Jahren ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz aufhielten, nicht allein wegen Sozialhilfebezugs widerrufen werden.

Das Migrationsamt stellte beim Syrer ein gewichtiges Integrationsdefizit fest. Er habe jahrelang nicht am Wirtschaftsleben teilgenommen, also nicht gearbeitet. Von November 2010 bis April 2022 haben der Mann und seine Familie fast 450’000 Franken an Sozialhilfe bezogen. Zuvor hatte er ein Schneidergeschäft geführt, dieses aber Ende 2010 aufgegeben. Damals musste er aufgrund der Gesetzeslage nicht fürchten, dass er wegen des Sozialhilfebezugs die Schweiz würde verlassen müssen.

Ein alter, kranker und schlecht ausgebildeter Migrant

Vor Bundesgericht rügte die Anwältin des Syrers unter anderem, die Rückstufung sei unverhältnismässig. Ihr Mandant sei ein älterer, schlecht ausgebildeter und kranker Migrant. Er sei wegen seiner gesundheitlichen Probleme nicht in der Lage zu arbeiten.

Zwischen 2014 und 2022 hat er dreimal eine IV-Rente beantragt, dreimal hat die Sozialversicherung Aargau sie abgelehnt. Er sei bei einer leichten körperlichen Tätigkeit zu 80 Prozent arbeitsfähig, stellte diese stattdessen fest. Und dass er grundsätzlich in der Lage sei, sich von der Sozialhilfe zu lösen. Das habe er mit seinen wenigen beziehungsweise kurzzeitigen Anstellungen und Bewerbungen gezeigt, heisst es im Urteil des Bundesgerichts.

Der Syrer war im Sommer 2021 und 2022 für rund eine respektive zwei Wochen als Produktions- und Logistikmitarbeiter tätig. Im August und September 2022 habe er – unter Druck des Rückstufungsverfahrens – acht Bewerbungen verschickt. Angesichts dessen sei es nachvollziehbar, dass ihm die Sozialhilfeabhängigkeit vorgeworfen werde, halten die zwei Richterinnen und der Richter aus Lausanne fest.

Überdies bestätigen sie, dass die rund 75’000 Franken Sozialhilfe, bezogen von September 2019 bis zur Rückstufung im April 2022, ein Grund eben dafür seien. Das Bundesgericht lastet ihm zusätzlich an, dass seine Ehefrau ebenfalls keiner Arbeit nachgeht. Das öffentliche Interesse an der Rückstufung sei gross, während das private Interesse des Syrers, den Ausländerausweis C behalten zu können, als mittel bis gross zu gewichten sei.

Nicht für den Syrer und seine Frau sprach eine Einschätzung der Sozialkommission der Stadt Baden von Anfang 2020. Sie hielt es damals für sehr unrealistisch, dass der Mann oder seine Frau eine Anstellung finden würden respektive auf dem Arbeitsmarkt vermittelt werden könnten. Als Gründe nannte die Kommission das Alter des Ehepaars, die angeschlagene Gesundheit der beiden, die Dauer ihres Sozialhilfebezugs – sowie ihre niedrige Motivation.

Urteil:2C_14/2024