Felssturz in Brienz: Neue Methode, um Felsstürze, Lawinen und Erdbeben mit Glasfasern zu überwachen
Brienz stand knapp vor der grossen Katastrophe. Der Berg oberhalb des Bündner Dorfes war in Bewegung. Das Dorf wurde evakuiert und viele Wochen für die Bewohner gesperrt. In der Nacht auf den 16. Juni 2023 wälzten sich dann rund 1,2 Millionen Kubikmeter Fels ins Tal und blieben wenige Meter vor den ersten Häusern stehen.
Ein Team von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und der ETH Zürich hatte damals das Ereignis mit einer ungewöhnlichen Methode verfolgt: Sie wiesen die Schockwellen an unterirdischen Internet-Glasfaserkabeln nach. Diese Methode kann potenziell Felsstürze, Lawinen, Erdbeben und Murgänge örtlich präzise und über grosse Distanzen überwachen. Es braucht lediglich ein Kommunikationsnetz aus Glasfaserkabeln – und dieses wächst weltweit weiter an.
Verformungen können in Echtzeit gemessen werden
Möglich ist diese Methode, weil Bodenwellen zu extrem kleinen Dehnungen und Stauchungen in den optischen Fasern führen. Mit einer Methode namens Distributed Acoustic Sensing (DAS) können Forscher diese Verformungen in Echtzeit messen und sogar ihren Ursprung in der Faser auf einige Meter genau bestimmen. Glasfaserkabel fürs Internet sind oft viele Kilometer lang. Deshalb ist diese neue Methode für die Überwachung von Naturgefahren wie einen Felssturz oder eine Lawine aus der Distanz höchst interessant.
Für diese Messungen benötigen die Forscher eine Dark Fiber, also eine ungenutzte Faser in einem Telekom-Kabel. Daran schliessen sie ein Gerät an, Interrogator genannt. Dieses sendet Laserimpulse durch die Dark Fiber. Wenn diese sich irgendwo minim verformt, kommen die Impulse verändert zurück. So gelang es entlang der Flüelapass-Strasse bereits erfolgreich Lawinen zu registrieren.
Die Felsbewegungen in Brienz lieferten eine einzigartige Möglichkeit, diese Methode für Felsstürze zu testen. Dafür wurde der Berg vor und während dem Felssturz minutiös mit Radargeräten und Seismometern überwacht. Das Team um den WSL-Seismologen Fabian Walter hatte zudem Zugang zu einem Glasfaserkabel, das zwischen Tiefencastel und Filisur verläuft. Durch dieses schickten die Wissenschafter während 45 Tagen Laserpulse, bis der Bergsturz losging. «Die Messungen haben unsere Erwartungen übertroffen», sagt Walter in der WSL-Mitteilung. «Wir konnten Hunderte von kleinen Felsabbrüchen vor dem grossen Ereignis messen, und den grossen Sturz sowieso.»
Diese Glasfaser-Deduktion erzeugt allerdings eine riesige Datenmenge. Aus dieser müssen die anderen Erschütterungen der Umgebung herausgefiltert werden. Das gelingt mit Hilfe von künstlicher Intelligenz mit einem an der WSL entwickelten Algorithmus, wie die Forschenden im Fachjournal «Geophysical Research Letters» berichten. Noch sind diese Rechenmodelle aber erst im Forschungsstadium.