Gibt es auf der Autobahn bald eine eigene Spur für Fahrgemeinschaften? Ein erster Kanton prescht vor
Wer in der Schweiz in vorbeifahrende Autos schaut, sieht oft nur eine Person hinter dem Steuer sitzen – besonders zur Pendlerzeit. Um dem entgegenzuwirken, gibt der Bundesrat den Verkehrsplanern per 1. Januar ein neues Instrument in die Hand: das Strassenschild für Mitfahrgemeinschaften (Carpooling). Mit ihm kann angezeigt werden, dass Fahrspuren nur von Autos mit mehreren Insassen benutzt werden dürfen oder dass Fahrgemeinschaften auch auf der Busspur fahren können. Ob dabei mindestens zwei, drei oder vier Personen in einem Fahrzeug sitzen müssen, ist auf dem Symbol gekennzeichnet. Bei Zuwiderhandlung sind Bussen möglich.
Bislang haben nur zwei Kantone Erfahrungen mit sogenannten Carpool-Lanes gesammelt: Genf und Tessin. Sie haben im Rahmen von Pilotprojekten an einem Grenzübergang eine eigene Spur für Fahrgemeinschaften reserviert.
Genfer Vorschlag wird geprüft
Der Westschweizer Kanton will nun seine Pionierrolle ausbauen: Wie CH Media erfahren hat, nimmt Genf dabei nicht nur weitere Zollübergänge, sondern auch Autobahnen ins Visier. So soll auf dem dreispurigen Abschnitt zwischen Bardonnex und Perly und im Fall eines Ausbaus zwischen Vengeron und Nyon die dritte Spur für Fahrgemeinschaften und öffentliche Verkehrsmittel reserviert werden.
«Genf hat mit dem Bundesamt für Strassen Kontakt aufgenommen und diese Projekte werden nun geprüft», bestätigt das Genfer Infrastrukturdepartement.
Der Kanton zeigt sich vom Nutzen der Carpool-Lanes überzeugt. Fahrtengemeinschaften würden die Verkehrsüberlastung reduzieren, so ein Sprecher. Um sie zu fördern, sei es wichtig, dass Personen in Fahrgemeinschaften etwas gewinnen könnten. «Zeitersparnis ist ein wichtiger Faktor, denn eine reservierte Fahrspur verhindert, dass man in einen Stau gerät.»
Beim Bundesamt für Strassen (Astra), das über das Nationalstrassennetz verfügen kann, stösst die Umsetzung der Idee auf der Autobahn indes auf grosse Vorbehalte.
«Haben keine Spuren auf Vorrat»
Zwar heisst es auf Anfrage, dass man den Vorschlag aus Genf wie alle Ideen aus den Kantonen intensiv prüfe. Hinsichtlich Carpool-Lanes auf Autobahnen wurden jedoch bereits Probleme ausgemacht. «Wir haben in der Schweiz keine Fahrspuren auf Vorrat. Ziel muss es darum sein, die vorhandene Fläche so gut wie möglich auszunutzen», sagt Sprecher Thomas Rohrbach. Reserviere man nun eine Spur für Fahrgemeinschaften, bestehe die Gefahr, dass es mehr Stau gebe.
Kommt hinzu: Da eine Carpool-Lane auf der Autobahn wohl ganz links errichtet würde, hätte dies viele Spurwechsel zur Folge. Im Fall der dreispurigen Autobahn in Genf müssten Autos mit mehreren Insassen bei der Ein- und Ausfahrt gleich zwei andere Fahrbahnen überqueren. «Jeder Spurwechsel hat ein Störpotenzial. Unser Ziel ist es darum, ihre Zahl möglichst klein zu halten», sagt dazu Rohrbach.
Er betont, dass das neue Strassenschild für Mitfahrgemeinschaften heute eher für urbane Gebiete gedacht sei und eine Anwendung auf Autobahnen sehr gründlich untersucht werden müsse. «Es ging in diesem Schritt primär darum, Städten ein Instrument zu geben, um Fahrgemeinschaften zu bevorzugen, etwa indem ihnen das Befahren von Busspuren oder Fahrverbotszonen erlaubt wird.»
Städte fürchten negative Effekte
Wird das neue Schild ab Januar also bald in den Städten auftauchen? Mitnichten. Dort sieht man keine Verwendung, wie eine Umfrage ergibt. Im Kanton Basel-Stadt hat eine Untersuchung bereits vor zwei Jahren gezeigt, dass Fahrspuren für Fahrgemeinschaften nicht zweckmässig sind. Der mögliche Fahrzeitgewinn sei zu kurz und die negativen Effekte auf den übrigen Verkehr seien zu gross, heisst es bei der Medienstelle.
Auch in Bern ist die Öffnung von Busspuren für Fahrgemeinschaften nicht geplant, da dies den ÖV ausbremsen würde. Ebenfalls keine konkreten Umsetzungsprojekte für Carpool-Lanes gibt es in Zürich, Luzern und St.Gallen. In der Ostschweiz verweist man darauf, dass das Controlling einer solchen Massnahme schwierig sei.
Das neue Strassenschild droht also – abgesehen von seinem Einsatz bei Zollübergängen – als Papiertiger zu enden.