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«Bullshit» und «Meuchelmord»: Schaffhausen streitet vier Jahre nach einem Juso-Überraschungserfolg weiter über Transparenzregeln

Im Kanton Schaffhausen zoffen sich Linke und Bürgerliche seit 2020 über strengere Regeln zur Transparenz in der Politikfinanzierung. Selbst das Bundesgericht musste eingreifen. Bald kommt es an der Urne zum Showdown.

Sagt die Schweizer Stimmbevölkerung am 24. November Ja zum Autobahnausbau, so erhält der Fäsenstaubtunnel an der A4 bei Schaffhausen eine zweite Röhre. Licht am Ende des Tunnels dürfte sich gleichentags bei einem seit Jahren umstrittenen Politikum im Kanton Schaffhausen abzeichnen.

Die Bevölkerung muss über zwei Vorlagen zum Thema Transparenz in der Politikfinanzierung befinden. Zur Abstimmung kommen die von linken Parteien und dem überparteilichen «Komitee für Transparenz» eingereichte «Umsetzungsinitiative» sowie ein Gegenvorschlag des Kantonsrats. Diesen unterstützen auch der Regierungsrat, die bürgerlichen Parteien, der Hauseigentümerverband, der Gewerbeverband und die Industrievereinigung.

Der anstehende Urnengang geht auf eine politische Sensation zurück – und ist das nächste Kapitel in einer jahrelangen Geschichte, die hitzige Ratsdebatten, unzählige Leserbriefe und sogar eine scharfe Rüge des Bundesgerichts in Lausanne beinhaltet.

Die strengsten Regeln der Schweiz

Die Geschichte beginnt am 9. Februar 2020. Überraschend wurde die von den Jungsozialisten lancierte Transparenzinitiative mit 54 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Mit diesem Ergebnis hatten selbst die Initianten nicht gerechnet. Nur gerade zwei Juso-Mitglieder waren im Abstimmungszentrum zugegen, als das Resultat verkündet wurde.

Mit dem Ja zur Initiative auferlegte sich der Kanton Schaffhausen die bislang strengsten Transparenzregeln der Schweiz. So müssen Kandidierende und Kampagnenführende Geldspenden von juristischen Personen, also von Unternehmen und Verbänden, bereits ab dem ersten Franken offenlegen und Spenden von Privatpersonen ab einem jährlichen Spendenvolumen von 3000 Franken. Alle Kandidierenden sollen zudem ihre Interessenbindungen vor der Wahl offenlegen.

Doch bis heute, mehr als vier Jahre später, sind diese Regeln nicht in Kraft. Das hat auch mit einem Versäumnis der Urheber zu tun: Sie schrieben weder eine Frist zur Umsetzung noch Übergangsbestimmungen in den Initiativtext.

Das Manöver des FDP-Anwalts

Der bürgerlich dominierte Regierungsrat schickte im November 2020 einen Vorschlag in die Vernehmlassung, mit dem die Initiative auf Gesetzesstufe hätte umgesetzt werden sollen. In ihren Antworten kritisierten bürgerliche Parteien, Wirtschaftsverbände und einzelne, insbesondere kleinere Gemeinden den grossen administrativen Aufwand und stellten den Nutzen der neuen Regeln insgesamt infrage.

Mitte März 2021 bilanzierte der Regierungsrat in seiner Auswertung der Vernehmlassung, dass «die Umsetzung der sehr weit gehenden Schaffhauser Transparenzinitiative äusserst schwierig ist».

Dies sollte sich bewahrheiten. Im März 2021 reichte FDP-Kantonsrat Christian Heydecker, gut vernetzter Anwalt und Verwaltungsratspräsident der Clientis-Bank, eine Motion mit dem Titel «Mehr Transparenz, aber mit Augenmass» ein.

FDP-Politiker Christian Heydecker
Bild: ho

Diese forderte, den gesamten Initiativtext aus der Verfassung zu streichen und durch allgemeiner formulierte Bestimmungen zur Transparenz zu ersetzen. Deren Details sollten dann auf Gesetzesstufe geregelt werden, wären allerdings nicht mehr an die strengen Vorgaben der Initiative gebunden. Seine Begründung: Weil der Verfassungstext «keinen Spielraum» erlaube, sei eine zufriedenstellende Umsetzung der Initiative nicht möglich.

Die Regierung bekundete ihre Sympathie für Heydeckers Vorschlag und sistierte die Arbeiten für die Umsetzung der Juso-Initiative. Im September 2021 nahm die bürgerliche Kantonsratsmehrheit die Motion Heydecker an.

Dass ein Parlament nur achtzehn Monate nach einem Volksentscheid die daraus folgenden Verfassungsartikel bereits wieder streichen will, ist ein ungewohnter Vorgang. Selbst die stramm bürgerlichen «Schaffhauser Nachrichten» warfen Regierung und Kantonsrat vor, sich auf «demokratiepolitisch heikles Terrain» zu begeben.

Das Manöver erzürnte die Initianten. In einem Communiqué nannten sie das Vorgehen «schlicht skandalös». Noch nie in der direktdemokratischen Geschichte der Schweiz habe eine Regierung «je ein solches Gebaren unterstützt und vorangetrieben».

Im Mai 2022 reichten SP, AL, Grüne, Juso und das «Komitee für Transparenz» die «Umsetzungsinitiative» ein. Diese will einerseits dank Übergangsbestimmungen weitere Verzögerungsmanöver verhindern. Andererseits sollen kritische Punkte der ursprünglichen Juso-Initiative entschärft werden. So sollen die Transparenzvorschriften nur noch in Gemeinden mit über 3000 Einwohnern gelten, womit nur 5 der 26 Schaffhauser Gemeinden davon betroffen wären.

Die Eskalation der Debatte

Auch nach der Einreichung der neuen Initiative ging der erbitterte Schaffhauser Transparenzstreit weiter. In einer Kantonsratsdebatte im September 2022 reagierte FDP-Mann Christian Heydecker mit dem Ausruf «Bullshit» auf die scharf formulierten Vorwürfe der Ratslinken, wonach Regierung und Parlament den Volkswillen missachten würden. Der Anwalt entschuldigte sich mit einer Fussballmetapher für sein rhetorisches Foul, wie die «Schaffhauser Nachrichten» berichteten.

Am 7. November 2022 fällte der Kantonsrat einen weiteren, folgenreichen Entscheid. Er schickte die in der Motion Heydecker festgeschriebenen, allgemein formulierten Verfassungsartikel in eine Volksabstimmung.

Entgegen den Empfehlungen des Regierungsrats und des juristischen Ratschlags des Staatsschreibers verzichtete er jedoch darauf, die Motion gleichzeitig mit der Umsetzungsinitiative und als deren direkten Gegenvorschlag an die Urne zu bringen. Stattdessen sollte die Umsetzungsinitiative aufgeschoben und für ungültig erklärt werden, falls die Motion Heydecker zuvor angenommen werden sollte.

Grünen-Kantonsrätin Iren Eichenberger warf den Bürgerlichen «Meuchelmord an einer Initiative von jungen Menschen» vor. FDP-Mann Heydecker unterstellte der Linken, in «kollektive Schnappatmung» verfallen zu sein.

Die Rüge des Bundesgerichts

Die Initianten reichten beim Bundesgericht eine Beschwerde ein – und bekamen im März 2024 recht. Der Kantonsrat habe mit seinem Vorgehen «den Anspruch der Stimmberechtigten auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe» verletzt, befand das oberste Gericht. Es wies den Kantonsrat an, beide Vorlagen gleichzeitig zur Abstimmung zu bringen – was am 24. November nun endlich der Fall ist.

Matthias Frick, SP-Politiker.
Bild: Christian Merz / KEYSTONE

Für SP-Politiker Matthias Frick, ehemaliger Kantonsrat und Co-Präsident des Initiativkomitees, ist das Vorgehen von Kantonsrat und Regierung ein Lehrbeispiel dafür, «wie sich die erfolgsverwöhnten Bürgerlichen im Kanton Schaffhausen ihrer Machtposition bewusst sind und diese schamlos ausnutzen». Wenn ihnen das Ergebnis einer Volksabstimmung nicht gefalle, würden sie mit allen Tricks und Kniffs versuchen, diese nicht umzusetzen.

Auf die Zusicherung der Befürworter des Gegenvorschlags, man werde auf Gesetzesstufe für griffige Transparenzregeln sorgen, vertraut er nicht: «Nach dieser ganzen Geschichte glaube ich diesen Leuten kein Wort», sagt Frick, der den FDP-Vertreter Heydecker einen «Schlaumeier par excellence» nennt.

Der Angesprochene wehrt sich gegen den Vorwurf der Trickserei. Im Vernehmlassungsverfahren habe sich gezeigt, dass eine Umsetzung der Transparenzinitiative nicht befriedigend zu bewerkstelligen sei, sagt Heydecker. «Der einzig saubere Ausweg ist aus meiner Sicht eine Anpassung des Verfassungsartikels.» Eine solche führe automatisch zu einer Abstimmung: «Und was gibt es Demokratischeres, als das Volk zu befragen?»

Dass die Initianten im Rahmen der Umsetzungsinitiative selbst Anpassungen vornehmen, beweise, dass das ursprüngliche Volksbegehren Verbesserungsbedarf habe. «Wenn sie es verbessern dürfen, dann dürfen wir das als Parlament auch.» Das sei eine wichtige Funktion der Legislative in einer direkten Demokratie, sagt Christian Heydecker.

Die Abwahl des Schlaumeiers

Ob am 24. November die Initiative oder der Gegenvorschlag gewinne, sei schwierig abzuschätzen. Zuversicht gibt Heydecker die Abstimmung vom 22. September im Kanton Zug. Dort obsiegte in einer ähnlichen Konstellation der Gegenvorschlag des Parlaments.

Er hofft, dass im Abstimmungskampf eine inhaltliche Debatte geführt werden könne. Die Gegenseite versuche, einer solchen auszuweichen, und betreibe stattdessen nur mit der langwierigen Vorgeschichte Polemik. Ihm gehe es um die Sache: «Transparenz ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.» Ziel sei es, eine freie, informierte Willensbildung im politischen Prozess zu ermöglichen. Bei den Transparenzregeln brauche es eine auf die Gegebenheiten des Kantons angepasste, pragmatische Lösung.

SP-Vertreter Frick hofft, dass die Umsetzungsinitiative in der öffentlichen Wahrnehmung im Kanton neben der Kampagne zum Autobahnausbau oder den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen nicht untergeht. «Wenn es uns gelingt, den Leuten aufzuzeigen, worum es geht, dann gewinnen wir», ist er überzeugt. Das Gebaren der rechten Mehrheit hätten auch viele bürgerliche Wählerinnen und Wähler nicht goutiert.

Eine Folge des jahrelangen Streits war gewesen, dass die kantonalen Wahlen vom Spätsommer noch ohne Transparenzregeln stattfanden. FDP-Vertreter Christian Heydecker verpasste dabei die Wiederwahl in den Kantonsrat.

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