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«Wir können nicht so weitermachen»: Sollen alle 74 Kirchgemeinden im Aargau fusionieren?

Synodepräsident Lutz Fischer aus Wettingen sorgt mit seinem Blogbeitrag für Gesprächsstoff in der reformierten Landeskirche. Der angestossene Reformprozess geht ihm zu wenig weit. Derweil hat die Kirchenpflege in Murgenthal ihre Pfarrerin ermutigt, sich eine neue Stelle zu suchen.

Sinkende Mitgliederzahlen, weniger Einnahmen und steigende Kosten: Die Reformierte Landeskirche Aargau steht vor grossen Herausforderungen und befindet sich in einem Reformprozess, der bis 2030 umgesetzt sein soll. Im Blog der Aargauer Kirchenreform 26/30 werden Meinungen ausgetauscht und Beiträge zur Zukunftsvision publiziert.

Eine solche Vision skizziert Lutz Fischer in seinem Blogbeitrag «Nach der Fusion ist vor der Fusion». Der 57-Jährige ist Synodepräsident, Pfarrer der Kirchgemeinde Wettingen-Neuenhof, EVP-Einwohnerrat in Wettingen und Grossrat. Er schlägt als grossen Wurf vor, alle 74 reformierten Kirchgemeinden zu fusionieren. Dann gäbe es im Kanton Aargau nur noch eine reformierte Kirchgemeinde.

Lutz Fischer hält dazu fest: «Neben der sinkenden Mitgliederzahl machen den Kirchgemeinden die rückläufigen Finanzen, das Immobilienportfolio und das schwindende Interesse an kirchlichen Veranstaltungen, Gottesdiensten und Kasualien zu schaffen.» Dazu werde es immer schwieriger, geeignete Behördenmitglieder zu finden. Stellen der Ordinierten zu besetzen, sei aufgrund von Kürzungen sowie des mangelnden Nachwuchses ebenfalls nicht einfach.

Nicht nachhaltig: Fusion mit Nachbarkirchgemeinde

Die Kirchgemeinde Wettingen-Neuenhof hat laut Fischer zwischen 2016 und 2023 mehr als 1000 Mitglieder verloren, wobei sich der Trend in den letzten Jahren beschleunigt habe. Sie wurde von der Kirchenpflege der Kirchgemeinde Spreitenbach-Killwangen angefragt, eine mögliche Fusion an die Hand zu nehmen. Denn die Kirchgemeinde Spreitenbach-Killwangen werde noch im 2024 die Schwelle von 1000 Mitgliedern unterschreiten. Doch mit einem Zusammenschluss könnte sich die grössere Kirchgemeinde Wettingen-Neuenhof mitgliedermässig maximal für sieben Jahre stabilisieren, so der Pfarrer.

Das neue Kirchgemeindehaus der Reformierte Kirchgemeinde Wettingen-Neuenhof soll im Sommer 2026 bezogen werden.
Visualisierung: zvg/Architheke/Nightnurse

Anderes Beispiel: In Murgenthal habe die Kirchenpflege der Pfarrerin nahegelegt, sich einen neuen Job zu suchen, schreibt das «Zofinger Tagblatt». Denn trotz einschneidender Sparmassnahmen, wie etwa der Reduktion des Gottesdienstangebots, konnten die von der Rechnungsprüfungskommission geforderten Einsparungen von 20 Prozent nicht erreicht werden. Denn viele Budgetposten seien durch die Kirchenordnung und kantonale Lohnreglemente vorgegeben. Auch für die Kirchgemeinde Murgenthal mit etwa 900 Mitgliedern steht die Prüfung einer Fusion im Raum.

In der Kirche in Murgenthal finden weniger Gottesdienste statt.
Bild: AZ (Archiv)

An der Kirchgemeindeversammlung vom 10. November sei der Wille bei allen 22 Beteiligten zu spüren gewesen, die Zukunft trotz Finanzknappheit gemeinsam zu gestalten. Einer der grösseren Budgetposten ist die Vollzeitstelle des Pfarramts, welche während der laufenden Amtsperiode, die bis Ende 2026 dauert, nicht einseitig durch die Kirchenpflege gekürzt werden kann. In Absprache mit der Gemeindeberatung der Landeskirche wurde die Pfarrerin von der Kirchenpflege Murgenthal ermutigt, sich auf andere Pfarrstellen in anderen Kirchgemeinden zu bewerben.

«Sollte sie eine Zusage erhalten, würde dies das Budget deutlich entlasten», hiess es in einer Mitteilung. Zur offensiven Kommunikation sagte Andreas Egger, Präsident der Kirchenpflege Murgenthal, in einem Interview: «Die breite Bevölkerung hat keine Ahnung, wie schlecht es finanziell um die Kirche Murgenthal wirklich steht.»

Grosse Veränderung in relativ kurzer Zeit

«Wir können so nicht weitermachen, sondern müssen einschneidende und grosse Veränderungen mutig angehen», sagt Lutz Fischer gegenüber dem Regionaljournal Aargau Solothurn. Die Fusion mit einer Nachbarkirchgemeinde ist für ihn keine nachhaltige Lösung, weil der Mitgliederschwund weitergehe und früher oder später die nächste Nachbargemeinde «anklopfen» werde.

Lutz Fischer ruft dazu auf, gross zu denken, damit sich die Kirchgemeinden nicht die nächsten 10 bis 20 Jahre hauptsächlich mit Strukturbereinigungen beschäftigen müssen. «Die Fusion aller Kirchgemeinden im Aargau zu einer einzigen, könnte die Strukturbereinigung auf wenige Jahre beschränken», lautet seine Lösung.

Mehr Kapazität für Freiwilligenarbeit

Im Blogbeitrag erwähnt der Synodepräsident die Bündelung der Kräfte sowie das professionelle Management von Technik und Inhalten. Mit der Konzentration auf eine einzige Kirchgemeinde im Aargau hätten viele bisherige Kirchenpflegerinnen und Kirchenpfleger eher die Möglichkeit, sich in der Freiwilligenarbeit zu engagieren, wie es ihnen entspreche. Für die Landeskirche ist der Vorschlag von Lutz Fischer laut dem Regionaljournal ein guter Denkanstoss, gehe aber zu weit.

Die Reformierte Kirche Aargau trifft sich am 27. November zur Synode in Aarau. Dann wird unter anderem über das Budget 2025 entschieden, das ein Minus von 294’700 Franken vorsieht. Traktandiert ist auch eine Motion der Synodalen der Kirchgemeinde Rein. Damit beantragen sie die Senkung des Zentralkassenbeitrags von heute 2,3 auf 1,8 Prozent, um die Kirchgemeinden finanziell zu entlasten.

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