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Die linkste Stadt der Schweiz wählt: Dem Stapi droht die (doppelte) Abwahl, und nationale Politikprominenz drängt in die Regierung

Seit 32 Jahren regiert in Bern das Bündnis Rot-Grün-Mitte (RGM). Das wird auch weiterhin so sein – und trotzdem sind die Wahlen spannend wie lange nicht mehr. Die Bürgerlichen hoffen, dass Bern ein bisschen weniger links wird. Und die SP sinnt auf Rache.

Bern, eine behäbige Stadt? Das Klischee trifft oft zu. Doch die Wahlen für die Berner Stadtregierung – den fünfköpfigen Gemeinderat – sind tatsächlich ein Spektakel. Gleich drei Gemeinderäte, Franziska Teuscher (GB), Michael Aebersold (SP) und Reto Nause (Mitte), treten ab. Viel Raum also, um die Karten neu zu mischen.

Weshalb attackiert die SP die Grünen bei der Stapi-Wahl?

RGM lautet die linke Erfolgsformel in Bern. Bereits seit 32 ist das Bündnis unangefochten an der Macht. RGM steht für Rot-Grün-Mitte. Doch das Mitte führt auf eine falsche Fährte. Es ist der Zusammenschluss von SP, Grünes Bündnis (GB) und Grüner Freie Liste (GFL). Beide Grünen Parteien gehören zu den Grünen Schweiz. Die kleinere davon ist die GFL.

Und diese GFL stellt mit Alec von Graffenried den Stadtpräsidenten. Der alt Nationalrat eroberte das Amt vor acht Jahren. Es war ein Coup. Er gewann die Wahl gegen Ursula Wyss, die ehemalige SP-Fraktionschefin im Bundeshaus. Wyss war bereits Gemeinderätin und als neue Stadtpräsidentin «gesetzt». Von Graffenried lancierte seine Kandidatur in letzter Minute und wurde vor allem mit bürgerlicher Unterstützung gewählt. Dass die kleinste Partei des Bündnisses der mächtigsten Partei in Bern, der SP, das Amt des Stadtpräsidenten entriss, wirkt bis heute nach.

Und so sinnt die SP auf Rache. Sie attackiert von Graffenried mit Gemeinderätin Marieke Kruit. Attacke ist allerdings das falsche Wort. Es ist ein Kuschelwahlkampf. Das hat auch damit zu tun, dass die beiden nicht nur zum selben Bündnis gehören, sondern bereits seit vier Jahren in der Berner Regierung hocken und folglich für den Zustand der Stadt verantwortlich sind. Sie sind politische Zwillinge. Es gebe aber einen grossen Unterschied, stellte Kruit am Wahlpodium der Berner Tageszeitung «Der Bund» fest. Es ist das Geschlecht.

Der amtierende Stapi hatte nicht mit Konkurrenz gerechnet und weiss, dass seine Wiederwahl massiv gefährdet ist. Tatsächlich weist eine Umfrage von Sotomo darauf hin, dass SP-Frau Marieke Kruit das Rennen machen wird. Damit würde Bern gleich eine doppelte Premiere erleben. Zum ersten Mal eine Frau als Stapi und zum ersten Mal würde ein Stadtpräsident abgewählt.

Ebenfalls für das Stapi-Amt kandidieren Nationalrätin Melanie Mettler (GLP) und Janosch Weyermann (SVP). Sie dürften beim Wahlausgang keine Rolle spielen, aber von Graffenrieds Chancen schmälern.

Weshalb droht dem Stapi gar die doppelte Abwahl?

Wer in Bern Stapi werden will, muss auch in den Gemeinderat gewählt werden. Es gibt also zwei Hürden. Bei von Graffenried besteht nun nicht nur die Gefahr, dass ihn die Berner als Stadtpräsidenten in die Wüste schicken, sondern ihn auch nicht mehr in den Gemeinderat wählen.

Denn, für Aussenstehende ist das etwas sonderbar, in Bern wird die Stadtregierung im Proporz gewählt. Dieses Wahlsystem ist mit ein Grund für die linke Dominanz im Gemeinderat. RGM bündelt seine Kräfte seit Jahrzehnten und tritt mit einer Liste an. Seit acht Jahren besetzt das Bündnis vier der fünf Gemeinderatssitze. Doch zum ersten Mal bildet nun auch Mitte-Rechts, trotz inhaltlicher Differenzen, ein Bündnis. Unter dem Slogan «Meh Farb für Bärn» haben sich GLP, Mitte, FDP, SVP und EVP auf einer Liste zusammengeschlossen. Sie streben im Gemeinderat zwei Sitze an.

Dieses Ziel ist realistisch. Ein Grund für den Optimismus im bürgerlichen Lager ist die abnehmende Zustimmung zum Budget in der Stadt Bern. Die Bevölkerung muss dieses jährlich absegnen. Die Zustimmung hat in den letzten Jahren abgenommen. Vor Jahresfrist sagten nur noch rund 56 Prozent Ja zur links-grünen Finanzpolitik. Die Regierenden sind sich andere Zustimmungsraten gewöhnt. Die Finanzen sind denn auch eines der Hauptthemen der Mitte-Rechts-Allianz. Sie kritisiert, dass Bern über seinen Verhältnissen lebt.

RGM könnte also einen Gemeinderatssitz verlieren. Die beiden SP-Kandidierenden sind quasi gesetzt. Gemäss der Sotomo-Umfrage könnte die GB-Kandidatin Ursina Anderegg den GFL-Kandidaten Alec von Graffenried gar überflügeln.

Welche national bekannten Köpfe mischen sonst noch mit?

Gleich drei national bekannte Gesichter wollen künftig in Bern mitregieren. SP-Nationalrat Matthias Aebischer, der auch schon Bundesrat werden wollte, hat gute Chancen. Ebenso GLP-Nationalrätin Melanie Mettler: Sie ist die Favoritin für einen Sitz des Mitte-Rechts-Bündnisses. Holt das Bündnis einen zweiten Sitz, machen diesen Béatrice Wertli (Mitte) und Florence Pärli (FDP) untereinander aus. Wobei Wertli die besseren Karten hat: Sie war einst Generalsekretärin der damaligen CVP Schweiz und führte eine Zeit lang den Schweizerischen Turnverband als Direktorin. Wertli ist verheiratet mit Preisüberwacher Stefan Meierhans.

Prominent sind auch die Unterstützer im Wahlkampf. Für Stapi-Kandidatin Mareike Kruit etwa wirbt alt Bundesrätin Simonetta Sommaruga. GLP-Kandidatin Melanie Mettler wiederum hat mit Rapper und Singer-Songwriter Greis einen bekannten Fürsprecher aus der Musikszene. Der linke Musiker empfiehlt seine «beste Freundin» zur Wahl.