Getestet im Bodensee: Lösen diese Kugeln das grösste Stromproblem?
In Baku findet aktuell die 29. UN-Klimakonferenz, die sogenannte COP29, statt. Viel mehr als heisse Luft wird die Veranstaltung nicht produzieren. Stellvertretend für den aktuell vorherrschenden politischen Willen, konkrete Massnahmen gegen den Klimawandel einzuführen und umzusetzen, steht die Aussage des Präsidenten des Gastgeberstaates: Diktator Ilham Alijew nannte bei seiner Rede Öl und Gas «ein Geschenk Gottes».
Während sich die Weltpolitik am Nichtstun weidet, gibt die Forschung Gas. Zum Beispiel am Bodensee. Dort entwickelt das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE seit 2016 ein neuartiges Pumpspeicherkraftwerk. «Focus» titelte bereits euphorisch: «Riesige Betonkugeln am Meeresboden lösen grösstes Problem der Energiewende».
Die Voraussetzungen dafür sind folgende: Wind- und Solarkraftwerke produzieren jetzt schon mit deutlichem Abstand den günstigsten Strom. Kohlestrom ist mehr als doppelt, Atomstrom gar mehr als dreimal so teuer. Auch Gas kann nicht mit den Preisen von Wind- und Sonnenkraft mithalten. Der Strom der Zukunft wird erneuerbar. Länder, die von Gas- und Ölexporten leben, werden sich in den nächsten Jahrzehnten radikal umorientieren müssen.
Der grosse Nachteil von Wind- und Solarstrom: Er wird nicht dem Bedarf entsprechend und vor allem unregelmässig produziert; manchmal zu viel, manchmal zu wenig. Und noch fehlt es an geeigneten Pufferlösungen, welche diese Schwankungen nivellieren könnten.
Eine solche aber sind die Betonkugeln des Fraunhofer-Instituts. Die Idee von Prof. Dr. Horst Schmidt-Böcking und Dr. Gerhard Luther stammt aus dem Jahr 2011. Sie ist so simpel wie genial: Die riesigen hohlen Bälle werden in der Nähe von Windparks am Meeresboden versenkt, wo sie sich mit Meerwasser füllen. Bei Stromüberschuss werden die Kugeln leer gepumpt. Mangelt es an Strom, öffnet sich ein Ventil. Das einströmende Wasser treibt eine Turbine an. Diese produziert Strom. Das System funktioniert, wie Tests in den Jahren 2016 und 2017 im Bodensee mit einer 3-Meter-Kugel zeigten.
Bei drei Metern soll aber nicht Schluss sein. Bis zu 30 Meter gross sollen am Ende die Energiespeicher sein – und tiefer versenkt werden. Denn je grösser die Kugel, und je höher der Wasserdruck, desto effizienter wird das System. Erst ab 600 bis 800 Metern Tiefe werden die Betonkugeln wirtschaftlich.Deshalb soll spätestens 2026 vor der Küste von Kalifornien eine neun Meter grosse, 400 Tonnen schwere Kugel in 500 Metern Tiefe installiert werden. Für den Bau ist ein auf 3D-Druck spezialisiertes Unternehmen in Long Beach verantwortlich. Die Turbine liefert ebenfalls eine US-Firma.
Die erhoffte Kapazität der Testkugel in Kalifornien beträgt 0,4 Megawattstunden – 400 kWh. Die Leistung der Turbine beträgt 0,5 Megawatt. In zwölf solcher Kugeln könnte der Jahresbedarf eines Schweizer Haushalts gespeichert werden. Das mag nach wenig klingen – hat aber enormes Potenzial. Die Unterwasserbauten sind im Gegensatz zu herkömmlichen Pumpspeicherkraftwerken unsichtbar.
Laut Berechnungen der Projektleiter beträgt das weltweite Potenzial 817 Terawattstunden – an den zehn besten Standorten in Europa 166 Terawattstunden. Das ist über 4000 Mal mehr als die Speicherkapazität von Deutschlands aktuellen Pumpspeicherkraftwerken. Erneut der Vergleich mit der Schweiz: Wir haben einen jährlichen Stromverbrauch von ca. 60 Terawattstunden.
Bleibt noch die Frage der Kosten zu klären: In einem Park mit sechs 30-Meter-Kugeln (30 MW, 120 MWh) lägen die Kosten bei 4,6 Cents pro Kilowattstunde – und sind damit absolut konkurrenzfähig.
Etwas polemisch dürfte man deshalb sagen: Vielleicht sind die Betonkugeln ein Geschenk Gottes – oder des Fraunhofer-Instituts. Und in dem Sinn gibt es weitere gute Nachrichten: Die ökologischen Risiken für Fische, Krebse und Mikroorganismen wurden bei den Planungen berücksichtigt. Dank einer geringen Strömungsgeschwindigkeit und einem feinmaschigen Gitter beim Wassereintritt kann verhindert werden, dass Tiere eingesaugt werden.
Mehr dazu gibt es auf derProjektseitedes Fraunhofer-Instituts und in derjüngsten Pressemitteilung.