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«Brätschgagudumm»: Wieso es im Deutschen so wunderbar anschauliche Worte gibt

Ein Nebengespräch hat unseren Kolumnisten Pedro Lenz zum Nachdenken gebracht – Gedanken zur Schöpfungskraft der Sprache.

Komposita sind zusammengesetzte Wörter. Solche Wörter gibt es in vielen Sprachen, aber nicht in allen Sprachen lassen sie sich so leicht zusammenfügen wie im Deutschen. Ein deutsches Kompositum ist eine Wortzusammensetzung, bei der zwei oder mehr Wörter nach bestimmten Regeln zu einem einzigen Wort zusammenschmelzen. Normalerweise ist bei Komposita das Grundwort hinten und davor steht das Bestimmungswort. Wenn das Grundwort also «kalt» ist, kann vorne etwas wie «sau» oder «bitter» oder «eis» stehen. Wichtig ist das anfängliche Adjektiv «kalt». Alles andere dient zur Verdeutlichung.

Nach dem gleichen Muster können im Deutschen mehr oder weniger beliebig neue Wörter zusammengebaut werden. Das Schöne und Besondere an der deutschen Sprache ist demnach, dass die Möglichkeiten der Zusammensetzung theoretisch unendlich sind. Es können immer neue Wortkombinationen entstehen, was wiederum bedeutet, dass wir Sprechenden ständig neue Wörter erfinden können.

Dies alles will mir einfallen, weil ich neulich mithörte, wie eine Frau ihrer Gesprächspartnerin über eine nicht anwesende Drittperson sagte: «Die isch jitz würklech brätschgagudumm!» Dieses Adjektiv hatte ich so noch nicht gehört. Ich war beeindruckt von der Vehemenz der Aussage. «Brätschgagudumm» ist ein dreiteiliges Kompositum, bei dem das Grundwort «dumm», wie es die Sprachregel besagt, ganz hinten zu stehen kommt. Die mundartlichen Bestimmungswörter «Brätsch» («Abreibung», «Prügel», «Schläge») und «Gagu» («Stück Kot» oder scherzhaft auch «Gewehrpatrone») werden vorangestellt. Übersetzt ins Hochdeutsche könnte also «brätschgagudumm», je nach Interpretation, «schlagpatronendumm» oder «prügelkackeblöd» heissen. Beides klingt im Hochdeutschen, wie schon in der mundartlichen Originalversion, kraftvoll, anschaulich und originell. Was wiederum beweist, dass Komposita nicht selten ein sprudelnder Quell sprachlicher Schöpfungskraft sind.

Etwas weniger virtuos, aber ebenfalls originell schien mir ein anderes Kompositum, das mir neulich auf einem Spielplatz begegnete. Ein aufgewühlter Bub, der einen anderen Buben beschimpfen wollte, rief voller Überzeugung: «Du bisch e Zwätschgehung!»

Was ein «Sauhund» oder ein «Dreckshund» ist, glaubten wir noch zu wissen. In der Mundart spricht man oft und gern von einem «Lumpehung». Aber beim «Zwätschgehung» handelt es sich eindeutig um eine Neuschöpfung. Der Wortteil Zwetschge kann auf die Frucht oder auf den gleichnamigen Schnaps bezogen werden. Gleichzeitig bezeichnet «Zwätschge» in manchen Mundarten auch eine unausstehliche Frau. Der Hund ist ein beliebter Bestandteil von Schimpfwörtern.

Mit etwas Vorstellungskraft kann der Zwätschgehung ein Schimpfwort für einen Schnapstrinker, eine Beleidigung für den Mann einer Zwetschge – oder aber auch eine weit weniger bös gemeinte Bezeichnung für einen Obstliebhaber oder Früchtehändler sein.