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Die dunkle Seite des Sonnenkönigs

Mit ihrem Buch «Earth to Moon» liefert Frank Zappas älteste Tochter erschütternde Einblicke in ihr Elternhaus.

Beim ersten Date rotzt Frank Zappa seiner künftigen Ehefrau Gail ins Kleid. Wenig später sitzt das junge Paar vor dem Standesamt, wo der Rockmusiker seiner mittlerweile schwangeren Zukünftigen in Ermangelung eines Ringes einen Plastikkugelschreiber überreicht. Danach entschwindet Zappa auf eine seiner monatelangen Tourneen, die Geburt der ersten Tochter verpasst er. Per Telefon instruiert der Patriarch seine Frau, das Kind «Moon Unit» zu taufen.

Der Zweitname «Unit», so erfährt die Tochter von ihrem in vielerlei Hinsicht abwesenden Vater Jahre später, versinnbildliche, dass sie mit ihrer Ankunft die Familie zusammengeschweisst habe. Das ist so rührend wie unwahr. Die Familie Zappa, zuletzt sechsköpfig, ist alles andere als eine Einheit. Bestenfalls eine Zweckgemeinschaft im Dienste der Kunst, ein Unternehmen mit klaren Rollen und einem Sonnenkönig an der Spitze.

Esoterikplunder und Orgiendarstellungen

Dass Frank Zappa als Ehemann und Vater Schwächen hatte, dürfte nach unzähligen Büchern und Filmen über den 1993 verstorbenen Komponisten hinlänglich bekannt sein. Dennoch sind die Anekdoten, welche die heute 57-jährige Moon Unit Zappa in ihren Memoiren «Earth to Moon» festhält, in den besten Fällen kurios, in vielen aber schlicht erschreckend. Die erzählerische Leichtigkeit, mit der sich die Autorin gut zwei Jahrzehnte nach ihrem Debüt, dem biografisch angehauchten Roman «America the Beautiful», durch die traumatischen Ereignisse ihrer Jugend bewegt, zeugt von schreiberischer Reife. Und von vielen Stunden Therapiesitzungen.

So beschreibt sie das Elternhaus im kalifornischen Laurel Canyon als regellosen Spielplatz, der zwar frei von Alkohol und Drogen ist, doch bis unters Dach gefüllt mit Esoterikplunder und Orgiendarstellungen. Auch sind oft spärlich bekleidete Frauen zu Gast, die Frank begrüsst, indem er sie in die Brustwarzen kneift. Die offen gelebte Polygamie ihres Mannes kanalisiert Gail derweil in Hass auf die älteste Tochter, der schon früh in sadistischen Zügen zum Ausdruck kommt.

Es fehlt Zuneigung in jeglicher Form

So kettet sie Moon und deren Bruder Dweezil mit Handschellen zusammen, als sich die Geschwister zanken, um das Geschrei auf Tonband aufzunehmen und in hoher Lautstärke abzuspielen. Verglichen damit wirken Franks Eskapaden – etwa wenn die Kinder akustisch Zeuge vom Fremdgehen ihres Vaters werden – nur von enormem Egoismus. Grausamer ist ohnehin nicht, was Moon und ihren Geschwistern widerfährt, sondern das, was fehlt: Zuneigung jeglicher Form.

Diese keimt erst auf, als Frank noch vor seinem 50. Geburtstag unheilbaren Prostatakrebs diagnostiziert bekommt. Plötzlich ist Moon die stärkste Person im Haushalt; der Vater kann seiner Ältesten nicht einmal mehr in die Augen blicken. Diese Abschnitte liest man mit Beklemmung – wohl auch, weil es Moon gelingt, ihr jüngeres Ich so lebhaft einzufangen. Wie die damals in die Fänge eines Gurus geflüchtete Tochter am Sterbebett ihres Vaters einen Choral anstimmt («Es klingt wie ein Ritt auf einem magischen Teppich – zumindest in meinen Ohren.»), um dann in die entgeisterten Gesichter ihrer Familie zu blicken, ist erschütternd.

Trost folgt in den Kapiteln, die über den Tod der Eltern hinausgehen, auch wenn es das Leben auch dann alles andere als nur gut meint mit Moon. Als Lesende spürt man Genugtuung darüber, dass die starke Frau aus dem Schatten ihrer Familie treten konnte und als Autorin ihre Stimme gefunden hat. Man wünscht sich mehr Lesestoff aus der Feder von Moon Unit Zappa. Besonders, wenn die Zappas dann als Thema keine Rolle mehr spielen.