Sie sind hier: Home > Senioren > Tausende Aargauerinnen und Aargauer über 60 Jahre sind von Misshandlungen betroffen – wie man Konflikte gewaltfrei löst

Tausende Aargauerinnen und Aargauer über 60 Jahre sind von Misshandlungen betroffen – wie man Konflikte gewaltfrei löst

Viele Frauen und Männer im höheren Alter erfahren Misshandlungen. Im Aargau sind geschätzt zwischen 24'000 und 40'000 Personen betroffen. Eine Drittperson kann helfen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, wie an einem Gespräch in Aarau zu erfahren war.

Diese Woche starteten die «16 Tage gegen Gewalt an Frauen». Auch im höheren Alter sind sie besonders oft von Gewalt betroffen. Gewalt an Männern kommt auch vor, ist jedoch noch stärker tabuisiert.

Im Rahmen der Präventionskampagne fand am Montag im Kultur- und Kongresshaus Aarau ein Gespräch zum Thema «Konflikte lösen, Gewalt vermeiden: Wege zu einem rücksichtsvollen Miteinander» statt. Organisiert wurde es von der unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter (UBA).

Im Fokus standen hilfreiche Verhaltensweisen, um Gewalt zu vermeiden. Unter Gewalt sind nicht nur körperliche, sondern auch sexuelle, psychische und emotionale Misshandlungen zu verstehen. «Wenn man beispielsweise jemandem Angst einjagt», erklärte Mirjam von Felten, Leiterin Fachstelle Häusliche Gewalt Kanton Aargau, am Montag. Ebenfalls als Gewalt anzusehen, sei Vernachlässigung.

Übergangssituationen sind ein Risiko für Gewalt

Von Felten versuchte, das Problem zu ergründen und informierte die Anwesenden – in der Mehrzahl ältere, weibliche Personen – über Wege und Hilfsangebote im Aargau. Zu Gewalt komme es im Alter oft wegen Überforderung, beispielsweise bei aufkommender Demenz. Ausserdem würden Übergangssituationen wie die Pensionierung ein Risiko darstellen: weil etwa der Partner oder die Partnerin plötzlich ständig zu Hause ist.

Mirjam von Felten, Leiterin Fachstelle Häusliche Gewalt Kanton Aargau.
Bild: Raphaël Dupain

Laut einem Bericht des Bundesrates von 2020 sind in der Schweiz jährlich zwischen 300’000 und 500’000 Menschen über 60 Jahre von Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung betroffen. «Wenn man das auf den Kanton Aargau herunterrechnet, kommt man auf 24’000 bis 40’000 Fälle pro Jahr», erklärte von Felten.

Nebst der Polizei und den Gerichten gibt es im Kanton Aargau zahlreiche Beratungs- und Schutzangebote. So etwa die Opferberatung, die Anlaufstelle gegen häusliche Gewalt oder das Frauenhaus. Laut Mirjam von Felten besteht aber ein Problem: «Es fehlt an spezifischen Angeboten für ältere Menschen.» Häufig wenden sie sich aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen nicht an Hilfestellen – oder sie kennen die bestehenden Unterstützungsangebote nicht.

Manchmal kann eine Drittperson helfen

Einen anderen, psychologischen Zugang zum Thema hatte die zweite Referentin: Yvonne Hofstetter. Gut streiten führt zu besseren Lösungen, ist die Mediatorin überzeugt. Konflikte seien im Leben unvermeidlich, gerade wenn es im Alter zu Übergangssituationen komme und plötzlich wegbreche, was zuvor Sicherheit gegeben habe.

In Bezug auf Gewalt sagte Hofstetter in ihrem Vortrag: «Nicht der Konflikt ist das Problem, sondern der Umgang damit.» Entstehe ein solcher, brauche es vor allem Denk- und Verhandlungsräume, insbesondere wenn man sich verletzt, gekränkt oder blind vor Wut fühle.

Im Alter kämen häufig «alte Geschichten» hoch, man habe sich schon immer ungerecht behandelt gefühlt. Insbesondere bei familiären Konflikten sei das oft der Fall. Dann lande man in einem Teufelskreis, die Situation sei festgefahren. «Unterstützung durch Dritte hilft», weiss Hofstetter.

Yvonne Hofstetter, Mediatorin UBA Fachkommission Nordwestschweiz.
Bild: Raphaël Dupain

Laut der Mediatorin ist es meistens ein langer Prozess, bis man in einem Konflikt eine Drittperson beiziehe. Als Mediatorin versuche sie jeweils, allen beteiligten Personen Gehör zu verschaffen, ohne ihnen recht zu geben. «Das eigentliche Thema des Konflikts soll in den Vordergrund rücken», erklärte sie den Anwesenden. Mit einem Augenzwinkern ergänzte sie, dass eine Versöhnung oft der Tatsache geschuldet sei, dass eine neue Person hinzugezogen wurde: «Nicht nur, weil wir Mediatorinnen und Mediatoren so gut sind.»

Gewaltbetroffene in einer ruhigen Minute darauf ansprechen

Unter der Leitung von SRF-Moderatorin Sonja Hasler diskutierten Mirjam von Felten und Yvonne Hofstetter im Anschluss mit weiteren Fachpersonen. Cornelia Oklé von der Ombudsstelle für pflegebedürftige Menschen erklärte, zu ihr würden häufig Menschen kommen, wenn Angehörige von externen Personen gepflegt werden müssten. «Die Hilfsbedürftigen wehren sich gegen die Pflegenden, gleichzeitig haben die Angehörigen das Gefühl, man kümmere sich zu wenig um die pflegebedürftige Person.» Solche Situationen hätten viel Konfliktpotenzial.

Bruno Tscholl, stellvertretender Leiter der Anlaufstelle gegen häusliche Gewalt im Aargau, wies darauf hin, dass alle in der Pflicht seien, Verantwortung zu übernehmen. Wer Gewalt mitbekomme, beispielsweise in der Nachbarschaft, solle aber nicht sofort an die Tür klopfen, sondern im Zweifelsfall die Polizei alarmieren. Alternativ könne man die betroffene Person in einer ruhigen Minute ansprechen.