Das Genussjahr endet nach ein paar Horrorwochen: Marcel Hirscher misslingt das Comeback
Muhammad Ali, Lance Armstrong, Michael Schumacher. Die grossen Comeback-Geschichten der Sportwelt mussten herbeigezogen werden, als Marcel Hirscher im April dieses Jahres seine Rückkehr in den Skizirkus verkündete. Hirscher ist Ali, ist Armstrong, ist Schumacher auf Schnee. Den Skirennsport dominierte er einst. Acht Gesamtweltcupsiege häufte er an, es gab keinen Besseren. Doch mit 31 Jahren war er ausgebrannt, er flüchtete aus der Manege, und hinein in die Anonymität.
Mit 35 Jahren holte ihn die Berufung aber wieder ein. Der fiebrigen österreichischen Skination kehrte er den Rücken und startete für die Niederlande, das Heimatland seiner Mutter. Hirschers Comeback schien für den Skirennsport eine gute Nachricht zu sein. Weil er nach den besten 30 Athleten starten musste, brachte er etwas Glanz in die Regionen der Hinterbänkler. Hirscher generierte Aufmerksamkeit. Die Frage, ob er tatsächlich noch wettbewerbsfähig sein würde, schien die Menschen zu bewegen. Das österreichische Fernsehen ORF verzeichnete beim Riesenslalom von Sölden über eine Million Zuschauende. Nie zuvor schalteten so viele Leute beim Weltcup-Auftakt ein. Eine österreichische Ikone im niederländischen Skidress. Netflix könnte es nicht besser.
Der König von damals erhielt auch Zuspruch vom amtierenden König, Marco Odermatt. Der dreifache Gesamtweltcupsieger aus Nidwalden war überzeugt, dass die Sache für Hirscher gut laufen würde. «Bezüglich seiner Fitness habe ich keine Zweifel. Die taktischen Fähigkeiten hat er sicher nicht verlernt. Ich glaube, er wird auch einmal aufs Podest fahren», sagte Odermatt vor der Saison gegenüber CH Media. Hirscher selbst sprach von einem «Genussjahr», das folgen sollte. Doch das Genussjahr endete nach ein paar Horrorwochen.
Der Lack bröckelt
Am Dienstag teilte Marcel Hirscher ein Video auf Instagram. Zu sehen ist einer seiner Trainingsläufe auf der Reiteralm, in Schladming. Hirscher rutscht aus, verhindert den Sturz, greift sich ans linke Knie, schreit unüberhörbar. Unter dem Video sind ein paar Worte und ein paar Hashtags zu lesen: «Letzter Lauf der Saison. Was bleibt, ist die Liebe zum Skifahren.» Seine Skimarke Van Deer lieferte die detaillierte Diagnose. Im linken Knie erlitt er einen Kreuzbandriss und eine leichte Verletzung des äusseren Kapselapparats. Die Neuigkeiten sind nicht taufrisch. Gemäss verschiedenen Medienberichten wurde Hirscher bereits am Montag in Graz operiert.
In einer Mitteilung gewährt Hirscher schliesslich etwas tiefere Einblicke. Zum ersten Mal in seiner Laufbahn erlebe er «das leidige Thema Kreuzbandriss» am eigenen Leib, ist dort zu lesen. «Kreuzband weg, Projekt vorbei», lässt er verlauten. Ob das Comeback-Projekt nun ein für alle Mal beendet ist, lässt er offen. Zumindest eines der Zitate klingt nach einem definitiven Schlussstrich. «Vielleicht bin ich jetzt endgültig fertig mit meiner Reise», so Hirscher.
Das Sensationscomeback ist misslungen. Doch der Start sah zumindest verheissungsvoll aus. Vor dem Weltcup-Auftakt sagte Hirscher, ihm würden in seinen Läufen 4,5 Sekunden auf die Besten fehlen. Im Riesenslalom von Sölden fuhr er jedoch solid in die Punkteränge. Auf Sieger Steen Olsen hatte er zwar über zwei Sekunden Rückstand und belegte letztlich den 23. Rang, doch im zweiten Lauf gelang ihm die drittschnellste Zeit. Seine Vorhersagen waren blosses Understatement.
Es folgten die beiden Slaloms von Levi und Gurgl sowie eine gewisse Entgeisterung. In Levi war er Fünftletzter im ersten Lauf und verpasste den zweiten Durchgang deutlich. Beim Slalom von Gurgl brachte er den ersten Lauf gar nicht ins Ziel. «So bin ich fehl am Platz hier. Und es macht nicht wirklich Spass», sagte er hinterher. Der Lack der Legende bröckelte. Hirscher kämpfte dagegen und stürzte sich ins Training. Den Riesenslalom von Beaver Creek strich er aus seiner Agenda, um sich bestmöglich auf die Rennen von Val d’Isère von Mitte Dezember vorzubereiten. Der Misserfolg schien ihn nicht zu desillusionieren, sondern erst recht anzutreiben.
Häme in den Kommentarspalten
Nach den dürftigen Resultaten ist die Legende nun im Training gestrauchelt. Und wo Helden fallen, sind Häme und Spott nicht weit entfernt, vor allem online. «Bleib zuhause, es ist vorbei», ist auf einem Portal zu lesen, oder «das Projekt war von Anfang an unnötig», oder «am Ende steht dieses misslungene Comeback». Es gibt aber auch Unterstützung, vor allem von ehemaligen Weggefährten wie Felix Neureuther, oder früheren Teamkollegen wie Marco Schwarz.
Der Rücktritt vom Rücktritt bleibt ein Risiko. Als Muhammad Ali 1980 in desolatem Zustand zurückkehrte, war er chancenlos. Michael Schumacher, ein neunfacher Weltmeister, schaffte es in seiner zweiten Karriere noch einmal aufs Podest in der Formel 1. Lance Armstrong wurde nach seinem Comeback Dritter in der Tour de France, um später jahrelangen Dopingmissbrauch zu gestehen. Die zweite Karriere hat dem Mythos selten nachhaltig geschadet. Das wird auch bei Hirscher so sein.