Gesundheitssteuer für Grenzgänger: Schweiz bremst Meloni
Die italienischen Spitäler und Pflegeeinrichtungen entlang des Grenzgürtels zur Schweiz haben immer mehr Mühe, geeignetes Pflegepersonal und Ärzte zu rekrutieren. Denn viele Italienerinnen und Italiener aus Gesundheitsberufen suchen sich möglichst ennet der Grenze, insbesondere im Tessin, eine Stelle. Grund: Die Löhne liegen wesentlich höher, Sprachprobleme gibt es nicht.
Um Gegensteuer zu geben,hat die italienische Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit dem Haushaltsplan 2024 beschlossen, dass Grenzgängerinnen und Grenzgänger in der Schweiz zwischen 3 und 6 Prozent ihres Nettolohns in Italien abführen müssen, um den dortigen nationalen Gesundheitsdienst mitzufinanzieren. Die jeweiligen Regionen, in denen die Grenzgänger domiziliert sind, wie Piemont und Lombardei, sollen innerhalb der vorgegebenen Spannweite die konkreten Ansätze festlegen.
Der Ertrag soll genutzt werden, um den Lohn für Pflegekräfte oder Ärzte in Spitälern und anderen Gesundheitseinrichtungen auf italienischer Seite zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen attraktiver zu machen. Gemäss Beispielrechnungen italienischer Medien könnten die Löhne um rund 750 Euro pro Monat erhöht werden.
Schweiz sieht keine Gesetzesgrundlage
Ab 1. Januar 2025 müssten die Regionen Piemont und Lombardei die Gesundheitsabgabe (Tassa di salute) erheben, von der einzig die «alten Grenzgänger», die mit einer Quellensteuer in der Schweiz veranlagt werden, betroffen wären. Grenzgänger, die unter das neue, am 17. Juli 2023 in Kraft getretene Grenzgängerabkommen zwischen der Schweiz und Italien fallen und ab 2024 auch in Italien steuerpflichtig sind, fallen nicht unter die Neuerung.
Doch es wird immer unwahrscheinlich, dass die Tassa di salute jemals eingezogen wird. Lange sind vor allem die italienischen Gewerkschaften gegen die Abgabe Sturm gelaufen. Sie sehen darin eine Verletzung des alten Grenzgängerabkommens, wonach die Grenzgänger ihre Einkünfte ausschliesslich in der Schweiz versteuern. Der Präsident der Region Piemont, Alberto Cirio, hat schon angekündigt, die Neuerung nicht anwenden zu wollen.
Doch Widerstand kommt inzwischen auch aus der Schweiz. So haben die Kantone Tessin und Graubünden eine Anfrage der Region Lombardei abgelehnt, die Namen der Grenzgänger zu liefern, welche in den jeweiligen Kantonen unter dem alten Steuerabkommen tätig und steuerpflichtig sind.
Das Thema stand auch bei einem Treffen vor gut zwei Wochen in Rom zwischen Aussenminister Ignazio Cassis und dem italienischen Wirtschafts- und Finanzminister Giancarlo Giorgetti (Lega) auf der Traktandenliste. Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) erklärt auf Anfrage: «Es existiert zurzeit in der Schweiz keine Rechtsgrundlage für einen solchen Datenaustausch.»
Es geht um viel Geld
Für die Lombardei geht es um viel Geld. Denn fast 70’000 Personen arbeiten als Grenzgänger in der Schweiz. Bei einer hypothetischen Abgabe von 2400 Euro im Jahr (200 Euro/Monat) auf das Einkommen könnte die Region folglich 168 Millionen Euro einkassieren. Der zuständige regionale Assessor der Region Lombardei für die Beziehungen mit der Eidgenossenschaft, Massimo Sertori, hat daher dieser Tage im «Corriere del Ticino» angekündigt, dass die italienische Regierung in Bern intervenieren werde, um eine Rechtsgrundlage für den Datenaustausch zu schaffen.
Dieses Vorhaben hat bereits den Tessiner Mitte-Ständerat Fabio Regazzi auf den Plan gerufen. In einer Interpellation an den Bundesrat will er wissen, ob die angestrebte Gesundheitsabgabe mit dem neuen Steuerabkommen kompatibel ist und ob die Anfrage Italiens nach der Namensliste der Grenzgänger auf einer gesetzlichen Grundlage basiert. Die Zweifel sind gross. Das SIF erklärt zur Vereinbarkeit mit dem neuen Steuerabkommen: «Dies kann erst beurteilt werden, wenn die neuen italienischen Regeln im Wortlaut vorliegen. Das ist bisher nicht der Fall.“
Es erstaunt indes nicht, dass gerade der Kanton Tessin wenig Hand reicht für die Neuerung und sich gegen den Austausch der Namen sperrt. Denn die Gesundheitsabgabe würde die Arbeitsbedingungen im Grenzgürtel auf italienischer Seite insbesondere in Berufen verbessern, die gerade im Tessin gefragt sind. Ein grosser Teil von Ärzten und Pflegekräften stammt aus Italien. Das System würde ohne diese zusammenbrechen.
Fabio Regazzi, Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes, hält darüber hinaus in seiner Interpellation fest: «Die Anwendung dieser Gebühr, die einer Steuer gleicht, könnte den Schweizer Unternehmen in Grenznähe schaden, die schon heute Schwierigkeiten haben, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden.»