Marco Odermatt klärt die Chef-Frage, Luca Aerni verblüfft die Ski-Welt und die österreichische Krise ist keine Krise
Felix Neureuther hat zuletzt die Körpersprache Odermatts nicht gefallen, wie er dem «Blick» mitteilte. Zwar glaube er daran dass Odermatt in diesem Winter wieder Riesenslalom-Erfolge feiern werde. Aber er werde es nicht so einfach haben wird wie in den letzten Jahren. «Die jüngsten Ausfälle werden selbst bei ihm Spuren hinterlassen», sagte der frühere Deutsche Top-Athlet vor den Rennen in Val-d’Isère.
Neureuther ist einer von vielen, die sich mit der Frage auseinandersetzen: Warum ist Odermatt in seiner Paradedisziplin plötzlich verwundbar? Der 27-Jährige hat zwar nicht alles, aber doch vieles mitgekriegt, was über ihn geschrieben, gesagt und gesendet wurde. Amüsiert haben ihn die Kommentare nicht. Aber auch nicht wirklich beschäftigt. «Ich habe vielleicht ein bisschen mehr überlegt. Aber ich wusste immer, worauf ich mich konzentrieren muss», sagt Odermatt.
Als Odermatt bei starkem Schneefall ins Ziel kommt, klopft er sich nicht an den Helm wie nach der Abfahrt in Beaver Creek, sondern auf die Brust. Also wollte er signalisieren: Schaut her, ich bin wieder da. Wobei er ja gar nie weg war. Im ersten Riesenslalom der Saison in Sölden schied er zwar aus, war aber bis zu seinem Fauxpas der schnellste im Feld. In Beaver Creek verzockte er sich mit dem Material. Aber: In Beaver Creek gewann er auch den Super-G und wurde Zweiter in der Abfahrt.
Odermatt: «Ich bin der einzige Saisonsieger, der sich rechtfertigen muss»
Der Start in die Saison war viel mehr als nur in Ordnung. Note 5. Weshalb Odermatt sich verständlicherweise daran störte, dass sein Schaffen fast nur auf die beiden Ausfälle im Riesenslalom reduziert wurde. «Ich bin der einzige Saisonsieger, der sich rechtfertigen muss», moniert er. Aber wenn ein Seriensieger wie Odermatt mal nicht auf dem Podest steht, löst das halt Fragen aus, werden Theorien entworfen, machen sich vielleicht sogar Zweifel breit. Doch einer behält in dieser leicht aufgeheizten Stimmung die Coolness: Odermatt selbst. Sein Selbstverständnis scheint nicht den kleinsten Kratzer erlitten zu haben.
Ja, Odermatt ist im Riesenslalom wieder zurück in der Spur. Aber leicht wurde es ihm definitiv nicht gemacht. Einerseits von der Konkurrenz, andererseits waren die Bedingungen – sagen wir mal – grenzwertig. Als der zweite Lauf beginnt, drückt die Sonne durch die Wolkendecke. Als Odermatt, der führende nach dem ersten Lauf, das Rennen beschliesst, ist der Himmel total verhangen, herrscht heftiges Schneetreiben.
Tumler: «Der härteste Riesenslalom meines Lebens»
Thomas Tumler, der Sieger von Beaver Creek, sagt hinterher: «Das war der härteste Riesenslalom meines Lebens. Ich habe fast nichts gesehen. Ab Mitte des zweiten Laufs lautete meine Devise nur noch: Irgendwie ins Ziel kommen und möglichst nichts riskieren.» Von Platz sechs fällt er auf Position 25 zurück.
Tumler ist nicht der einzige aus dem Kreis der Favoriten, der mit den schwierigen Bedingungen im zweiten Lauf grosse Mühe bekundet. Lucas Braathen fällt aus, LoÏc Meillard von drei auf Position neun und Henrik Kristoffersen (5.), nach dem ersten Lauf Zweiter, schlägt im Ziel mit dem Stock wutentbrannt auf die Absperrung und kassiert aus dem Publikum Buhrufe.
Doch einer trotzt nicht nur den schwierigen Verhältnissen, sondern auch den beiden entfesselten Konkurrenten Patrick Feurstein und Luca Aerni, die von sehr weit hinten das Feld aufrollen: Marco Odermatt. «Ich wusste, dass es sich scheisse anfühlen wird und jeder Fehler machen wird. Aber ich habe diese Verhältnisse ziemlich gern, weil ich weiss, dass ich von allen Fahrern damit am besten zurechtkomme. Und so bin ich das gefahren, was ich wollte und für möglich hielt.» Das reichte für den vierten Riesenslalom-Erfolg in Folge in Val d’Isère.
Luca Aerni schreibt ein Ski-Märchen
Das andere Glanzstück aus Schweizer Sicht liefert Luca Aerni. Mit Nummer 62 als Letzter in den ersten Lauf gestartet, mogelt er sich als 30. in den zweiten Lauf, was allein aufgrund seiner überschaubaren Riesenslalom-Resultate – Platz 21 in Alta Badia 2017 als Bestergebnis – schon als Erfolg zu werten ist. Wie er aber die optimalen Bedingungen im zweiten Lauf zu seinen Gunsten nutzt, verblüfft die ganz Ski-Welt.
Aerni, der wegen Rückenproblemen viele Jahre auf den Slalom fokussierte, zeigt «den Riesenslalom meines Lebens» und fährt auf Rang 4. «Seit letztem Jahr läuft es körperlich wieder», sagt der 31-Jährige Kombi-Weltmeister von 2017. «Und als ich sah, dass ich im Riesenslalom-Training mit Loïc Meillard einigermassen mithalten kann – wobei er schon fast immer vor mir ist – gab mir das ein gutes Gefühl.»
Die Österreicher melden sich zurück
Ein gutes Gefühl haben auch wieder die Österreicher. Vor der Rückkehr aus den USA resultierte lediglich ein Podestplatz für die Männer, herausgefahren von Lukas Feurstein (3.) im Super-G von Beaver Creek. Diese Bilanz löst bei unseren östlichen Nachbarn keine Jubelstürme aus. Im Gegenteil: In einzelnen Medien wurde schon so etwas wie Krisenstimmung verbreitet.
Trotzdem war Cheftrainer Marko Pfeifer zuversichtlich: «Ich weiss, dass meine Burschen mehr können und ich hoffe, dass sie das in Val-d’Isère endlich zeigen.» Wobei die Hoffnung vor allem auf Manuel Feller ruht, obwohl dessen Hüftprobleme noch nicht ganz ausgestanden sind. Doch Feller realisierte seinen vierten Nuller in Serie.
Dafür brillierten andere. Stefan Brennsteiner, der als einziger neben Odermatt von den top klassierten aus dem ersten Lauf nicht zurückfiel und sich sogar von Position 4 auf 3 verbesserte. Aber da war auch Patrick Feurstein. Nach dem ersten Lauf (Platz 24) deutete wenig darauf hin, dass der 28-jährige Vorarlberger hier eine besondere Geschichte schreiben würde. Wie Aerni nutzte er die guten Bedingungen im zweiten Lauf und blieb an der Spitze, bis Odermatt kam und allen zeigte, wer der Chef im Riesenslalom ist.