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Swiss hat sich verrechnet: Weil die First Class zu schwer ist, muss Blei eingebaut werden – «Ökologisch unschön»

Die Lufthansa-Tochter will ihre Flugzeuge mit einer neuen Kabine ausrüsten. Doch das Gewicht der luxuriösesten Sitzreihen bringt Probleme mit sich.

Eine «neue Ära» werde beginnen, sagte die Swiss-Interimschefin Heike Birlenbach diese Woche an einem Mediengespräch. Sie bezog sich auf die neue, modernere Kabine, die ab 2025 in den Flugzeugen der Lufthansa-Tochter zum Einsatz kommen soll. Das Konzept nennt sich Swiss Senses und wird es nicht nur in den neuen A350-Flugzeugen geben, welche die Airline nächstes Jahr erhält, sondern auch in der bestehenden Langstrecken-Flotte.

Nur: Die Swiss hat sich verkalkuliert. Die neuen Sitze für die gut betuchte First-Class-Kundschaft sind zu schwer. Dies bestätigen drei voneinander unabhängige Swiss-Quellen gegenüber CH Media. Das führt dazu, dass sich der Schwerpunkt des Flugzeugs zu weit nach vorne verschiebt. Bei den Airbus-330-Langstreckenflugzeugen, von denen die Swiss 14 Stück in ihrer Flotte hat, stimmt dadurch die Balance für das Abheben nicht mehr. Das macht einen Ausgleich weiter hinten in der Maschine nötig.

Swiss Senses: So nennt die Airline ihr neues Kabinenkonzept, das sie ab Winter 2025 in ihre Langstreckenflugzeuge einbaut – auch in der Premium Economy.
Visualisierung: Swiss

Die Massnahme, welche die Swiss für die Umbauten ab Winter 2025 plant, wirkt auf den ersten Blick bizarr: Sie will Bleiplatten ohne jeglichen Zusatznutzen installieren. Sie dienen ausschliesslich der Schwerpunktkorrektur. Intern wird gemunkelt, das Gegengewicht könnte rund 1,5 Tonnen betragen.

«Ökologisch ist das unschön»

Laut Brancheninsidern hat Blei aus Airline-Perspektive den Vorteil, dass die Dichte sehr hoch ist. Sprich: Es benötigt relativ wenig Platz. «Aber ökologisch betrachtet ist das natürlich äusserst unschön», sagt einer der drei Swiss-Insider, der nicht mit Namen genannt werden möchte. Überrascht über diese Massnahme sei er dennoch nicht. «Es gibt in der ganzen Lufthansa-Gruppe so viele Abteilungen, die miteinander kommunizieren sollten, wie zum Beispiel bei der Planung einer neuen Kabine.» Dies sei in diesem Fall offensichtlich zu wenig der Fall gewesen.

Zudem könnte sich laut eines Swiss-Piloten die Frage stellen, welche Auswirkungen das zusätzliche Gewicht – mit den schwereren First-Class-Sitzen und den allfälligen Bleiplatten – auf den Maximalradius des A330 hätte. Denn die Reichweite bei gewissen Strecken des Flugzeugtyps, wie nach Miami oder von Mumbai, mit über 9 Stunden Flugzeit, könnte dann knapp werden, weil das getankte Kerosin möglicherweise nicht ausreichen würde. «Schliesslich möchte die Swiss ja auch möglichst viele Passagiere und Cargo an Bord haben», sagt der Pilot.

Swiss-Sprecherin Meike Fuhlrott bestätigt die Problematik und die Massnahme mit den Bleiplatten. In der Luftfahrtindustrie zeichne sich ein Trend ab, bei dem Passagiere der First- und Business-Class-Sitze mehr Privatsphäre möchten. «Dies hat zur Folge, dass diese Sitze im Vergleich zu früher schwerer werden.» Gleichzeitig würden die Sitze in der Economy Class immer leichter. «Diese unterschiedliche Gewichtsentwicklung führt zu einer Verschiebung des Schwerpunkts in Flugzeugen», sagt Fuhlrott.

So wird die neue Business Class der Swiss künftig aussehen.
Visualisierung: Swiss

Da sich First Class und Business Class im vorderen Teil des Flugzeuges befinden, werde dieses «nasenlastig». Der A330 gehöre zu den Flugzeugtypen, die bereits von ihrer Konstruktion her dazu neigten, eine «nasenlastige» Gewichtsverteilung zu haben. Entsprechend sei dieser Typ nun davon betroffen. «Eine feste Installation zur Gewichtsregulierung ist in diesem Fall unumgänglich», sagt Fuhlrott. Und stimmt es, dass das Blei rund 1,5 Tonnen schwer sein wird? Dies lasse sich noch nicht genau sagen, sagt die Sprecherin.

Doch wie konnte es überhaupt zu diesem Dilemma kommen? So seien bei der Lufthansa, die ebenfalls eine neue Kabine lanciert, keine festen Installationen zur Gewichtsreduzierung notwendig, wie Sprecher Jörg Waber sagt. Wieso also bei der Swiss? Jede Neuentwicklung stelle die Ingenieurteams vor neue Herausforderungen, sagt Fuhlrott. So habe man anfangs nur eine Gewichtsschätzung gehabt, welche aus dem Vergleich mit ähnlichen Produkten abgeleitet worden sei. Mit der Konstruktion von Sitzen und der Kabine sei dann das Gewicht konkreter geworden.

Swiss-Sprecherin Meike Fuhlrott.
Bild: zvg

Das finale Gewicht ergebe sich laut Fuhlrott erst nach dem Einbau der Sitze und der Kabine. Der bisherige First-Class-Sitz inklusive Bordunterhaltungssystem wiegt 205 Kilogramm. «Im Vergleich zu Konkurrenzprodukten zeigt sich aber heute schon, dass die neue Swiss-Kabine insgesamt nicht schwerer ist.»

XL-Bildschirme und Sitzheizung

Den Bedenken des Swiss-Piloten, wonach gewisse Strecken mit dem A330 nicht mehr möglich sein könnten, nimmt Fuhlrott Wind aus den Segeln: «Die Erreichbarkeit des heutigen Destinationsportfolios ist nach wie vor gewährleistet.»

Die neue First Class der Swiss setzt erstmals auf ein sogenanntes Suiten-Konzept auf bis zu 3,5 Quadratmetern. Den Passagieren wird auf der Website «absolute Privatsphäre» versprochen «mit verschliessbaren Schiebetüren, persönlicher Garderobe und einem Farbkonzept, das beim Betreten ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt». Die Bildschirme sind bis zu 43 Zoll (109 Zentimeter) gross. Zum Vergleich: In der Economy sind es 13,3 Zoll (34 Zentimeter). Die Sitze sind mehr als doppelt so breit als in der günstigsten Kategorie. Und dazu bietet die Kabine eine Sitzheizung- und Kühlungsfunktion sowie eine geräumige Gepäckablage.

Die 14 Airbus 330-300 der Swiss waren schon vorher «nasenlastig». Mit der neuen Kabine wird dies zum Problem.
Imago/Andreas Haas / www.imago-images.de

Für so viel Komfort verlangt die Swiss denn auch stolze Tarife, wie eine aktuelle Preisabfrage zeigt. So kostet das teuerste First-Class-Ticket von Zürich nach Miami und zurück vom 25. Oktober bis 6. November über 16’000 Franken. Diese Einkünfte von gut betuchter Klientel möchte sich die Lufthansa-Tochter nicht entgehen lassen, obwohl sie rein technisch ihre Flugzeuge leichter und damit ökologischer gestalten könnte.

Vermeidbarer CO2-Ausstoss

Mehrere hundert Kilo an Blei und Luxussitzen bedeuten natürlich mehr Emissionen. Damit lässt die Swiss andere, interne Ökoprojekte ganz oder teilweise verpuffen, sei es das kürzlich lancierte PET-Recycling oder das Anbringen der sogenannten «Aeroshark»-Folien auf der Flugzeughülle für eine bessere Aerodynamik und einen tieferen Kerosinverbrauch. Auch die Bitte an Economy-Passagiere, ihren CO2-Ausstoss zu kompensieren, präsentiert sich dadurch in einem anderen Licht.

Die Swiss habe sich entschieden, dem Versprechen, eine Premium-Airline zu sein, treu zu bleiben und sich für eine First Class ausgesprochen, sagt Fuhlrott. Alternativ hätte die Swiss auch die Destinationen oder die Frachtkapazität verändern können. «Dies stand für uns nicht im Vordergrund.» Nach wie vor sei die Swiss die einzig namhafte Airline, die auf allen Langstrecken-Flugzeugen eine First Class anbiete.

Blick in die neue First-Class-Suite der Swiss.
Visualisierung: Swiss

Die Kundschaft habe der Swiss eindeutig signalisiert, dass es an der Zeit sei, die Kabinenausstattung der Langstreckenflotte, insbesondere bei den A330-Maschinen, zu modernisieren. Die Variante mit den Gewichtsplatten sei eine übliche, die sich rasch realisieren lasse. Gleichzeitig arbeite man an Lösungen und beobachte Trends und Technologien, die es der Swiss erlauben könnten, die Gewichtsverteilung anders und nützlich zu erreichen.

Ein Doppelbett in der First Class

Ausserdem verzichte man derzeit auf Schiebetüren bei den einzelnen Business-Class-Sitzen, wodurch rund 10 Kilogramm Gewicht eingespart werde. Zudem habe man die First Class von heute acht auf vier Sitze reduziert. Dabei handelt es sich um drei Suiten und eine sogenannte Center Suite, die zu zweit genutzt werden kann.

In einem Marketingvideo für die neue Kabine wirbt die Swiss mit Hochglanzbildern von Bäumen, Schnee und Wasser sowie dem Spruch «inspired by nature» – inspiriert von der Natur. Für die Bleiplatten gilt das wohl kaum.