Neues AKW im Aargau? Regierungsrat lehnt SVP-Vorstoss ab – das ist der Grund
Der Bundesrat will dasNeubauverbot für neue AKW aufheben, das seit dem Volksentscheid von 2017 im Kernenergiegesetz verankert ist. Das wurde vor drei Monaten bekannt. Die Aargauer SVP-Fraktion im Grossen Rat reagierte schnell: Sie reichte eineMotion für den «raschestmöglichen Neubau» eines Kernkraftwerks im Kanton Aargauein.
Darin hiess es: «Der Regierungsrat sollte den Auftrag erhalten, alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen und allfällige Erlassänderungen in die Wege zu leiten, damit im Kanton Aargau möglichst rasch mindestens ein weiteres Kernkraftwerk in Betrieb genommen werden kann.» Zuvor hatten dieGemeindeammänner von Döttingen (Beznau-Blöcke mit je 365 MW Leistung) sowie Leibstadt (1285 MW) signalisiert , dass sie und ihre Dörfer einem neuen AKW positiv gegenüberstehenwürden.
«Allein in der Kompetenz des Bundes»
Nun nimmt der Aargauer Regierungsrat Stellung zur Motion. Und er lehnt sie ab. Allerdings nicht, weil er dem Bau eines neuen AKW mit Ablehnung gegenüberstehen würde, sondern weil er nicht die Kompetenzen hat, um die SVP-Forderung umzusetzen. Und damit keinen Gestaltungsraum. Änderungen von Erlassen liegen «in der alleinigen Kompetenz des Bundes und nicht der Kantone», begründet der Regierungsrat sein Nein. Dementsprechend könne er auch keine Vorkehrungen treffen und die Motion nicht umsetzen. Diese erweist sich damit als Papiertiger.
Der Regierungsrat weist darauf hin: Die Kantone könnten sich bei Vernehmlassungen und Mitwirkungen auf eidgenössischer Stufe einbringen. In Sachen Aufhebung des AKW-Neubauverbots bestehe eine grosse Dynamik. «Der Kanton Aargau beobachtet auch ohne Überweisung der Motion die Veränderungen auf Bundesebene in diesem Bereich.» Sprich: Ändert sich die Gesetzgebung auf Bundesebene, überprüfe auch der Kanton Aargau die möglichen Anpassungen seiner Grundlagen. Betroffen davon könnten Eigentümerstrategien des Kantons und seine Energiestrategie sein.
Deutlich teurer, viel längere Bauzeit
Der Regierungsrat legt in seiner Antwort auf die Motion ausserdem dar, dass ein AKW-Neubau ein finanzielles Risiko birgt. Die beiden Beznau-Blöcke und Leibstadt sind mit Reaktoren der zweiten Generation realisiert worden. Heute werden weltweit einzig Reaktoren der dritten Generation gebaut. Sie sollen sicherer und effizienter sein und eine längere Lebensdauer aufweisen. Allerdings haben sie den Ruf, deutlich teurer zu sein und dass ihre Bauzeit viel länger dauert als jene der Vorgängermodelle.
Die jüngsten Projekte in Europa wurden massiv teurer als budgetiert. Flamanville 3 in der Bretagne sollte 2012, fünf Jahre nach dem Baustart, fertiggestellt sein. Ende 2024 soll das Kraftwerk in Betrieb gehen. Doch die Kosten für den Druckwasserreaktor (1600 MW), anfangs auf 3,4 Milliarden Euro geschätzt, sind mittlerweile auf 20 Milliarden Euro gestiegen.
Der Bau für das AKW Hinkley Point C in Grossbritannien startete 2016. Laut Projektentwickler Électricité de France könnte sich die Inbetriebnahme des ersten Reaktors im schlimmsten Fall um sechs Jahre bis 2031 verzögern. Die Baukosten für die zwei Reaktoren (je 1600 MW) wurden von 21 auf bis zu 50 Milliarden Euro nach oben korrigiert. Das finnische AKW Olkiluoto ging 2022 nach 17 Jahren Bauzeit und Kosten von elf Milliarden Euro in Betrieb. Geplant waren vier Jahre Bauzeit bei Kosten von drei Milliarden Euro.
7 bis 12 Rappen pro Kilowattstunde
Grossbritannien garantiert Hinkley Point C (2 Reaktoren mit 3280 MW) während 35 Jahren einen Strom-Abnahmepreis von umgerechnet 14 Rappen pro Kilowattstunde. Das Paul Scherrer Institut (PSI) rechne dagegen bei konventionellen, neuen Kernkraftwerken mit theoretischen Stromgestehungskosten von sieben bis zwölf Rappen pro Kilowattstunde, schreibt der Regierungsrat. Laufzeit, Anzahl Volllaststunden, Bauzeit und Kapitalkosten eines Kernkraftwerks könnten sich entscheidend auf dessen Rentabilität sowie die Stromgestehungskosten auswirken. Eine exaktere Aussage sei daher kaum möglich.
Die Reaktoren der vierten Generation sind noch weit von einem kommerziellen Betrieb entfernt. Damit sei «frühestens in den 2030er-Jahren» zu rechnen. Dasselbe treffe auf die meisten sogenannten Small Modular Reactors (SMR) zu. Diese verfügen über eine geringere elektrische Leistung (1,5 bis 300 MW). Derzeit seien zehn SMR in Russland und China in Betrieb, in westlichen Ländern würden erste Pilotprojekte auf die Genehmigung warten.