«Röstis Sabotage-Plan für die Energiewende»: Bundesrat will Atomkraft-Verbot wieder kippen
Will man den Lärmpegel rund um ein Aufregerthema möglichst gering halten, empfiehlt es sich, dieses gleichzeitig mit einem anderen – einem noch grösseren – Aufregerthema zu veröffentlichen. Im Falle des Gegenvorschlags zur Initiative «Blackout stoppen» sind es sogar zwei andere Themen, die vom Comeback der Atomkraft ablenken.
Im Schatten des PUK-Berichts sowie der Einigung mit der EU hat der Bundesrat an seiner Sitzung vom Freitag jedenfalls auch den indirekten Gegenvorschlag zum Ausstieg vom AKW-Ausstieg in die Vernehmlassung geschickt. Zentraler Kern dieses Vorschlag ist eine Anpassung des Kernenergiegesetzes, «so dass neue Kernkraftwerke in der Schweiz wieder bewilligt werden können», wie es in der Mitteilung heisst.Die inhaltliche Stossrichtung hatte Bundesrat Rösti bereits im August bekannt gegeben.
Brisant ist der Entscheid, weil der Bundesrat dem Anliegen der Initianten weit entgegenkommt und so eigentlich einen noch jungen Volksentscheid aushebeln will. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 beschloss die Landesregierung innert zehn Wochen, aus der Atomenergie auszusteigen. Das Volk bestätigte den Entscheid 2017 an der Urne. Käme der nun vorliegende Gegenvorschlag durch das Parlament und zögen die Initianten ihre ursprüngliche Vorlage zurück, wäre das theoretisch sogar ohne erneute Volksabstimmung möglich. Allerdings ist das Referendum bei diesem Thema garantiert, wie erste Reaktionen vom Freitag zeigen.
«Sabotage-Plan», «Energiepolitik von gestern» oder «positives Signal»?
Der Bundesrat begründet seine Meinungspirouette mit «erheblichen Unsicherheiten», ob der steigende Strombedarf allein mit erneuerbaren Energien gedeckt werden kann. Durch den «Einbezug der Kernenergie» solle «eine Rückversicherung in der Stromversorgung» geschaffen werden, «falls die erneuerbaren Energien nicht im gewünschten Mass ausgebaut werden können». Keine Rede ist mehr von Unsicherheiten, die als Folge des Ukrainekriegs die Versorgung Europas und der Schweiz mit ausreichend Energie vor Probleme stellen.
Die ersten Reaktionen fallen heftig aus. Die SP spricht von «einer gefährlichen Energiepolitik von gestern». Die Grünen von einem «Sabotage-Plan für die Energiewende» von Bundesrat Albert Rösti. Die Allianz Atomausstieg von «sehr hohen Risiken». Allesamt betonen die Kritiker, dass der Bau eines AKW sehr viel Geld kosten und so lange dauern würde, dass sie in den nächsten zwei Jahrzehnten nichts zu einer sicheren Stromversorgung beitragen würden.
Zudem ist unklar, wer denn überhaupt ein neues Atomkraftwerk bauen könnte. Die grossen Stromkonzerne haben allesamt betont, dass sie derzeit keine Pläne für ein neues AKW haben. Und dies namentlich aus Kostengründen. Dass es grundsätzlich wieder möglich sein soll, neue Kernkraftwerke zu bauen, begrüssen jedoch auch viele Energiefirmen. Über eine mögliche finanzielle Beteiligung des Bundes an einem neuen AKW schweigt sich der Bericht aus. Da es nicht um die Bewilligung von neuen Kraftwerken gehe, «sei die Finanzierung künftiger Kernkraftwerke auch nicht Gegenstand dieser Vorlage».
Erneuerbare Energie haben Priorität
Von einem «positiven Signal für die Technologieoffenheit» sprechen derweil die Atomkraftfreunde. Der Vorschlag für eine neue Vorlage des Bundesrats sei auch noch kein Entscheid für ein neues Kernkraftwerk, sondern lasse der Schweiz erst mal überhaupt wieder alle Möglichkeiten offen zur Behebung von möglichen Energieengpässen. Auch der Bundesrat betont in seiner Mitteilung, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien «weiterhin erste Priorität» hat.
Wenn er nun hervorhebt, dass Kernenergie ebenfalls CO2-neutral sei, dürfte es ein allfälliges neues AKW schwer haben, der Schweiz noch einen erheblichen Beitrag zum Erreichen der selbst gesteckten Klimaziele zu liefern. Die Jahrzahl dafür ist 2050. Und bis da scheint der Bau eines neuen AKW selbst in den ambitioniertesten Zeitplänen unrealistisch.
Die Vernehmlassung zur Aufhebung des Neubauverbots von neuen AKW dauert bis im April. Danach will der Bundesrat definitiv über das weitere Vorgehen entscheiden. Spätestens dann dürfte der Lärmpegel rund um die Atomfrage also noch einmal gehörig anschwellen.