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Vergleich zum gescheiterten Rahmenabkommen: Das hat die Schweiz verbessert – hier musste sie nachgeben

Die Verhandlungen über die Modernisierung der Bilateralen sind abgeschlossen. Was hat sich geändert im Vergleich zum gescheiterten Rahmenabkommen von 2018? Einiges. Unser Vergleich.

Ende 2018 waren wir schon mal so weit: Die Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU wurden erfolgreich abgeschlossen. Von einem «Freundschaftsvertrag» sprach der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker euphorisch. Drei Jahre später schickte der Bundesrat das Abkommen aber bachab. In Brüssel reagierte man verärgert.

Damit der diplomatische Totalschaden nicht mehr passiert, haben die Verhandlungsteams um Chefunterhändler Patric Franzen jeden Stein umgedreht. Sie wussten: Diesmal muss es klappen. Einen dritten Versuch würde es nicht geben.

Jetzt liegt das Resultat vor. Was sich für die Schweiz verbessert hat:

Zuwanderungsbremse – so funktioniert sie

Hat die Schweiz das Gefühl, es gebe ein gröberes Problem mit der Zuwanderung, kann sie Schutzmassnahmen ergreifen. Das könnte zum Beispiel sein, Einwanderungskontingente einzuführen.

Die Schweiz informiert die EU-Kommission im sogenannten Gemischten Ausschuss, dass es «schwerwiegende wirtschaftliche oder soziale Probleme» wegen der Zuwanderung gibt. Ist die EU-Kommission damit nicht einverstanden, kann die Schweiz das gemeinsame Schiedsgericht einschalten. Dieses prüft, ob es tatsächlich ein Problem gibt. Ist das der Fall, erhält die Schweiz grünes Licht für die Massnahmen. Diese müssen verhältnismässig sein.

Es gibt ein ordentliches und ein schnelles Verfahren. Bei letzterem kann die Schweiz schon nach dreissig Tagen Schutzmassnahmen ergreifen, falls das Schiedsgericht einverstanden ist. Was die Schweiz unter schwerwiegenden Problemen versteht, muss sie für sich erst noch festlegen. Denkbar sind hohe Arbeitslosenzahlen oder viele Sozialhilfebezüger aus der EU sowie Verwerfungen im Mietmarkt.

Übrigens:Aus der EU in die Schweiz kommen, um Sozialhilfe zu beziehen, ist nicht möglich. Wird jemand arbeitslos und bemüht sich nicht, wieder einen Job zu finden, kann die Aufenthaltserlaubnis auch entzogen werden.

Strom, Gesundheit, Lebensmittelsicherheit – drei neue Abkommen

Um das Rahmenabkommen aufzupeppen, hat der Bundesrat drei neue Abkommen hinzugefügt. Am wichtigsten ist das Stromabkommen. Es wird der Schweiz mehr Versorgungssicherheit und tendenziell tiefere Preise bringen. Die Schweiz soll mit ihren Wasserkraftwerken zur Batterie Europas werden. Bei der Lebensmittelsicherheit werden Hürden abgebaut, damit landwirtschaftliche Produkte einfacher zirkulieren können. Verhindert wurde, dass der Schweizer Tierschutz abgesenkt oder Gentech-Lebensmittel ins Land kommen. Das Gesundheitsabkommen ermöglicht unter anderem eine reibungslose Zusammenarbeit, sollte eine Pandemie ausbrechen.

Forschungszusammenarbeit wird abgesichert

Mit einem eigenen Abkommen soll die Teilnahme der Schweiz am weltgrössten Forschungsprogramm «Horizon Europe» abgesichert werden. So kommen die Forscherinnen und Forscher in der Schweiz nicht mehr zwischen die Fronten, wie in der Vergangenheit. Ab 1. Januar 2025 lässt die EU die Schweiz wieder vollständig teilhaben.

Die Schweiz bekommt Marktzugang ohne Nadelstiche

Der Grund, weshalb der Bundesrat die ganze Übung überhaupt macht: Es geht darum, die bilateralen Verträge und den Zugang der Schweiz zum europäischen Markt fit zu machen. Dafür muss die Schweiz gewisse Zugeständnisse machen (siehe unten). Im Gegenzug erhält sie Rechtssicherheit. Nadelstiche wie den Entzug der Schweizer Börsenäquivalenz oder die Nichtaktualisierung der Produkte-Anerkennung soll es nicht mehr geben. Aber Achtung: Sowohl die Aktualisierung des wichtigen Produkte-Abkommens als auch die definitive Einbindung in die EU-Forschung erhält die Schweiz erst, wenn die Volksabstimmung durch ist. Bis dahin behält die EU das Druckmittel in der Hand.

Kein Freihandelsabkommen 1972 mehr

Die EU wollte das Freihandelsabkommen von 1972 integrieren und modernisieren. Beim Rahmenabkommen wurde es in einem Anhang noch erwähnt. Die Schweiz will das nicht, weil unter anderem gewisse Steuerpraktiken der Kantone unter Druck kommen könnten. Jetzt ist das Freihandelsabkommen weg.

Und hier musste die Schweiz nachgeben:

Die «fremden Richter» sind nicht zu vermeiden

Voraussichtlich im Jahr 2028 wird das neue EU-Paket an die Urne kommen. Die neuen Abkommen Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit können die Schweizerinnen und Schweizer ablehnen, das ist der EU egal. Für sie zählt nur, dass der Kernbestandteil des Pakets durchkommt: die Übernahme von europäischem Recht im Binnenmarkt-Bereich. Und der Schlichtungsmechanismus, falls es Streit gibt. Hier wird ein gemeinsames Schiedsgericht zum Tragen kommen. Wenn eine ungelöste Frage über die Anwendung von EU-Recht aufkommt, muss aber der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg angerufen werden. Seine Auslegung ist bindend. Da die Schweiz als Nicht-EU-Land in Luxemburg nicht vertreten ist, sprechen Kritiker wie die SVP von «fremden Richtern». Wobei: Diese können auch zugunsten der Schweiz urteilen.

Keine Subventionitis

Die Schweiz sagt zu, keine wettbewerbsverzerrenden Beihilfen zu sprechen. Dazu kreiert sie eine neue Behörde. Erfasst sind die Abkommen zum Landverkehr, Luftverkehr und dem Strom. Im letzteren konnte die Schweiz aber wichtige Ausnahmen absichern.

Zugeständnisse im Lohnschutz

Um den ausgebauten Schweizer Lohnschutz EU-kompatibel zu machen, mussten Anpassungen gemacht werden. Zum Beispiel wurde die Anmeldefrist für entsendete Arbeitnehmer von acht auf vier Tage gesenkt. Besonders zu reden gibt die Regel, wonach EU-Arbeiter zu tieferen Spesen entschädigt werden können. Dies konnte nicht wegverhandelt werden, da die Regel selbst in der EU umstritten ist. Viele halten sich einfach nicht daran. Die Schweiz könnte das auch so machen oder im Inland andere Kompensationsmassnahmen ergreifen.